Antje Schlottmann: RaumSprache. Ost-West-Differenzen in der Berichterstattung zur deutschen Einheit. Eine sozialgeographische Theorie. Stuttgart 2005. 343 S.

Der Titel des Buches von Antje Schlottmann verheißt zunächst die Verbindung von zwei unterschiedlichen geografischen Themenfeldern - regionalspezifische Differenzen in der medialen Berichterstattung zur deutschen Einheit und ihre Bearbeitung in einer sozialgeografischen Theorie. Schnell könnte man auf die Idee kommen, das Werk in den Kanon poststrukturalistischer oder diskursanalytischer Arbeiten einzuordnen, die nach den vielen turns der letzten Zeit, genannt seien hier als Beispiele cultural, linguistic, iconic oder spatial turn, die Humangeografie zu dominieren scheinen. Und tatsächlich ermöglicht erst die augenblickliche "wissenschaftliche 'Wendementalität'" (S. 22) eine solche Problemstellung im Schnittpunkt von Sozialgeografie, Linguistik und Soziologie. Den spezifischen Beitrag, den die Sozialgeografie in diesem Kontext zu leisten imstande ist, erkennt die Autorin in dem kritischen Hinterfragen einiger traditionaler Zuschreibungen von Kultur und Raum, die dem geographischen Weltbild zugrunde liegen. Das Buch bearbeitet die medial verbreitete Semantik von Ostdeutschland und ihre denkbaren Implikationen.

Schlottmann gelingt es, durch einen einfachen rhetorischen Kunstgriff zunächst die eigene Sichtweise des Lesers auf Ostrespektive Westdeutschland zu aktivieren. Sie stellt ihrer Abhandlung einen Prolog aus Versatzstücken ausgewählter Zeitschriften- und Zeitungsbeiträge über Ost- und Westdeutschland zehn Jahre nach der Einheit voran, der gleichzeitig die textuelle Grundlage ihrer Empirie bildet. Das Buch ruft so direkt zu Beginn die eigenen Assoziationen des Lesers implizit auf, um diese dann auf den folgenden ca. 300 Seiten Schritt für Schritt zu dekonstruieren. Die eingangs der Abhandlung zitierten räumlichen Selbstverständlichkeiten in der Sprache des publizistischen Diskurses erfahren anschließend eine Befragung bezüglich ihrer Notwendigkeit oder Verzichtbarkeit, um auf dieser Basis die gesellschaftliche Wirksamkeit der Raumsemantiken zu eruieren. Die Autorin greift somit eines der klassischen geografischen Themen auf - die Regionalisierung - und schränkt diese "auf Sprechergemeinschaften ohne konkreten Ortsbezug" (S. 210) ein. Die Problemstellung verbindet mithin in innovativer Weise die alte Warnung Alfred North Whiteheads vor der vorschnellen sowie ungerechtfertigten Konkretisierung abstrakter und mitunter rein sprachlicher Tatbestände mit der Regionalisierungsproblematik, indem das Buch fragt, auf welche Art und Weise die Sprache nach wie vor für die "Mauer in den Köpfen" (S. 90) verantwortlich ist.
Die Fragestellung ist somit traditionell geografisch, darüber hinaus aber von gesellschaftspolitischem Interesse, denn wer möchte 16 Jahre nach der Einheit nicht wissen, was die Rede von Ost und West tatsächlich impliziert? Aus der Komplexität dieser gewählten Aufgabe zieht Schlottmann die Konsequenz eines triadischen Aufbaus ihrer Untersuchung. Sie entwickelt zunächst eine sozialgeografische Perspektive "zur wissenschaftlichen Betrachtung sprachlichen Geographie-Machens" (S. 27) auf der Grundlage des handlungszentrierten Ansatzes von Benno Werlen. Diesen erweitert sie sprachanalytisch mit Hilfe der Sprachphilosophie von John Searle, um zu einer "Analyse einzelner Elemente sprachlichen Geographie-Machens" (ebd.) zu gelangen. Das entstehende theoretische Konstrukt wird wiederum sozialtheoretisch mit Hilfe der Strukturationstheorie von Anthony Giddens an die gesellschaftliche Dimension der Sprache rückgebunden. Der letzte Schritt erst garantiert die Evaluationsmöglichkeit der gesellschaftlichen Bedeutung der räumlichen Semantiken in Bezug auf Ost- und Westdeutschland.
Schlottmann entscheidet sich also für eine theoretische Triangulation dreier distinkter Theorien, um auf dieser Basis die von ihr angestrebte Ausweitung der Werlen'schen 'Sozialgeografie alltäglicher Regionalisierungen' hin zu einer "Theorie signifikativer Regionalisierung" (S. 241) zu erreichen. Dieses Vorhaben ist insofern bemerkenswert, da die Autorin Theorie ernst nimmt und die handlungszentrierte Sozialgeografie dahingehend erweitern will, dass diese die basale Forderung an eine jede Sozialtheorie erfüllt, namentlich ihre selbstreferenzielle Anwendungsmöglichkeit. Der Rekurs auf Searle und Giddens hingegen verwundert, existieren doch bereits Theorien, die sowohl Sprache als auch Gesellschaft beschreiben und folglich den zweiten Triangulationsschritt obsoleszieren würden. Bourdieus Sozialtheorie bietet sich als eine denkbare Kandidatin an, welche die soziale Bedeutung der Sprache als 'sprachlichen Markt' konzipiert und ihre gesellschaftliche Rückbindung gleich mitliefert. Schlottmann registriert Bourdieus Theorieentwurf, dies geschieht jedoch nur mit dem Hinweis, dass auch physische Eigenschaften gedankliche Abstraktionen sein können (S. 132). Sie diskutiert dieses Argument dann aber nicht weiter. Die Sozialtheorie Bourdieus mit ihren sozialtheoretisch verorteten Begriffen des Diskurses, des kairos, des sprachlichen Marktes und des sprachlichen Kapitals nähme der Autorin weitgehend die schwierige Aufgabe der Amalgamierung Searl'scher Sprachphilosophie und Giddens'scher Strukturation ab, was in der Abhandlung dann auch nicht bis ins Letzte zu überzeugen weiß. Die Autorin nutzt mit ihrer theoretischen Wahl zwar die Affinität der Ansätze von Werlen und Giddens, importiert aber gleichzeitig das Problem des Verhältnisses von Sprache und Gesellschaft in ihr Theoriegebäude. Schlottmann postuliert in diesem Kontext, "daß die Bezüge zur gesellschaftlichen Einbindung signifikativer Regionalisierungsweisen dort als Verweise (...) auffindbar sind, wo auch die sprachlichen Verortungsprinzipien erkennbar sind" (S. 228). Dies ist nicht überraschend und erinnert an Luhmanns Überlegungen, der immer dort einen gesellschaftlichen Wandel diagnostiziert, wo sich die betreffende Semantik des zugeordneten Begriffes ändert. Semantik und soziale Realität stehen folglich in einer Linie.
Intentionalistische Handlungstheorien und somit auch die 'Theorie signifikativer Regionalisierung' sehen sich seit langem dem Vorwurf ausgesetzt, Handlungen auf die Motive und Intentionen der einzelnen Handelnden zurück zu führen, dabei aber die soziale Genese dieser Intentionen außer Acht zu lassen. Handlungsmotive und Programme orientieren sich mit Referenz zu den Handlungen und Sprechakten der anderen und entstehen nicht autistisch im handelnden Subjekt. Schlottmann antizipiert diesen erwartbaren Einwand, indem sie mit Searle Institutionen "als etablierte, formierte Handlungsweise" (S. 71) begreift und die Zwänge und Beschränkungen, die aus den Handlungen der anderen resultieren, in ihren Theorieentwurf mit einbezieht. Sie ist so in der Lage, Sprache als Institution zu behandeln und den mit der ursprünglichen Wahl der Ausgangstheorie angelegten subjektzentrierten Blick auf raumbezogene Semantiken sinnvoll zu erweitern. Diese theoretische Setzung beantwortet aber noch nicht die Frage nach der Performativität der Sprache "in Bezug auf die Herstellung von selbstverständlicher Wirklichkeit" (S. 127), die Schlottmann berechtigterweise aufwirft. Erst das Konzept der Performativität überbrückt den Graben zwischen der Sphäre des Symbolischen und der Sphäre des Tatsächlichen. Performativität bezeichnet die Tatsache, dass Zeichen und Zeichengebrauch die Welt nicht allein beschreiben - ihre referentielle Dimension -, sondern auch tatsächlich verändern. Die Autorin konzipiert diesen Sachverhalt konsequent als indexikalische Regionalisierung und verdeutlicht ihn exemplarisch anhand der Subsumtion Afrika. Den auch in geografischen Diskursen häufig anzutreffenden Allgemeinplatz "'Die Globalisierung ist an Afrika vorbeigegangen'" (S. 153) nimmt die Jenaer Geografin zum Anlass, die hierin verborgene Paradoxie zu dekonstruieren, da der Begriff Globalisierung in seiner Bedeutung die Auflösung eben jener räumlich-kulturellen Kategorie Afrika mitführt. Schlottmann erkennt so in jeder Container-Metapher eine Metonymie, d.h. eine Personalisierung ausgewählter Aspekte eines Begriffs. Die wichtige Erkenntnis hieraus ist, dass sowohl Afrika wie Ostdeutschland ungerechtfertigte sprachliche Verkürzungen sind, deren Funktionsweise nun offen vor dem Leser liegt.
Mit Bourdieu lässt sich leicht zeigen, dass der performative Charakter der Sprache mit dem performativen Charakter sozialer Gegebenheiten verschränkt ist. Diese Macht, die der Sprache innewohnt, liegt im Glauben der sozialen Akteure begründet, aufgrund dessen sie die Legitimität der autorisierten Sprache, ob metonymisiert oder nicht, und die Kompetenz der Sprechenden anerkennen. Die performative Kraft der Sprache und folglich auch der indexikalischen Regionalisierungen liegt genau genommen in der Macht der Sprechenden. Leider enden Schlottmanns Untersuchungen zu den Wirkungsarten sprachlicher Regionalisierungsweisen mit der Offenlegung ihrer Funktionsprinzipien. Hier wünscht man sich weiterführende Überlegungen, die diese ausgeführten wichtigen Erkenntnisse auch in Bezug auf die Macht, die diese Regionalisierungen erst wirksam werden lassen, vertieft untersuchen. Eine solch komplexe Analyse dürfte allerdings kaum im Rahmen einer einzigen Dissertation zu bewältigen sein, wie sie das Buch von Schlottmann darstellt, und ließe sich als Aufgabe für zukünftige weitere Arbeiten vorstellen.
Der Titel des Buches verweist bereits mit dem Wort "Berichterstattung" auf eine basale Funktion im Kontext einer sprachphilosophisch gesicherten Regionalisierungstheorie - die gesellschaftsinterne Kommunikation über den Raum. Schlottmann weist den Medien diese Schlüsselposition zu und beobachtet sie mit der speziellen Fokussierung auf die Konstruktion Ostdeutschlands im massenmedialen Diskurs. Diese theoretische Setzung ist zentral, will die Weiterentwicklung der 'Sozialgeografie alltäglicher Regionalisierungen' hin zu einer selbstreferenziell anwendbaren Theorie der signifikativen Regionalisierung gelingen. Umso mehr verwundert es an dieser Stelle, dass Schlottmann keinen expliziten Medienbegriff entwickelt. Sie lässt an diesem zentralen Punkt die sonst gezeigte Klarheit vermissen, die ihre Definitionen der weiteren Schlüsselbegriffe wie Region, Institution, Sprache oder Identität auszeichnen. Dabei verlangt gerade der Medienbegriff eine Klärung bezüglich seines Inhalts. Medien stellen von sich aus lediglich eine unbegrenzte Reihe von Unterschieden oder Abstufungen einer bestimmten Art bereit, wie sie unterschiedliche Helligkeiten im Medium des Lichts oder unterschiedliche Worte im Medium der Sprache bilden. Alle Dinge in der Welt, so könnte man formulieren, zu denen der Mensch ein intentionales Verhältnis besitzt, sind vollkommen medial. Medien sind theoretisch gefasst Unterschiede, die einen Unterschied machen, d.h. das Medium stellt Unterschiede bereit und in dieser Bereitstellung liegt die unersetzliche Leistung des Mediums. Aus diesem Kaleidoskop möglicher Formen die für eine Theorieentwicklung passende auszuwählen und anzuwenden wäre wünschenswert gewesen. Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, da Schlottmann zu einem sehr überraschenden und verblüffenden Ergebnis gelangt, indem sie postuliert, dass "grundsätzlich von keiner strukturellen Wirkungsweise 'der Medien' ausgegangen werden kann" (S. 145). Dieses Postulat stellt eine Irritation der allgemeinen Erwartungshaltung gegenüber den Massenmedien dar, das weit über die engen Grenzen der Sozialgeografie hinaus Resonanz verdient. Eine gesicherte theoretische Basis wäre von daher anzustreben gewesen.
Die von der Autorin erarbeitete "Beziehung zwischen Raum, Sprache und Gesellschaft" (S. 21) zeigt die Alltäglichkeit von Verortungen in praxi in aller Deutlichkeit auf. Wenn einem Ding ein Ort zugewiesen werden kann, dann ist es erst in der Welt. "Die Verortungsprinzipien sind verführerisch, weil sie Eindeutigkeit und organisatorische Praktikabilität gewährleisten und noch dazu 'plausibel' und selbstverständlich und beobachterunabhängig gültig erscheinen" (S. 300), warnt die Autorin. Am Ende ihrer Abhandlung diskutiert Schlottmann die praktischen Implikationen, die sich aus ihren theoretischen Überlegungen ergeben. Sie wählt hierfür die Felder der Integrationspolitik, Migration und Mobilität, Heimatschutz und Wohnortwahl, Personalpraxis, Finanz- und Warenströme sowie Wissenschaft und Forschung aus. Dieser Schritt von der reinen theoretischen Reflexion hin zu den Konsequenzen im praktischen Handeln ist zum einen mutig und zum anderen wichtig, um nicht zuletzt die gesellschaftliche Relevanz sozialgeografischer Theoriearbeit darzulegen. Die institutionalisierte Wirklichkeit lässt sich auf diese Weise als ein wichtiger Grund für die Existenz der scheinbar omnipräsenten sprachlich-konventionellen Verortungsprinzipien sichtbar machen. Schlottmann kommt so am Ende ihrer Untersuchung zu dem ambivalenten Ergebnis, dass "die impliziten Verortungsmodi nicht nur eine einschränkende, vielleicht auch diskriminierende Seite, sondern auch eine ermöglichende, verständigungssichernde und koordinierende Seite haben" (S. 323). Die besondere Rolle der Sprache im Prozess der Aneignung von Raum ist mit der Arbeit von Antje Schlottmann für die 'Sozialgeografie alltäglicher Regionalisierungen' erkannt. Es wäre mehr als verwunderlich, sollte die Dissertation nicht weitere Arbeiten initiieren, die detaillierte Aspekte sprachlichen 'Geografie-Machens' im handlungstheoretischen Kontext untersuchen, die Schlottmann in ihrer Grundlegung einer sprachphilosophisch gesicherten 'Theorie signifikativer Regionalisierungen' nur am Rande oder gar nicht bearbeiten konnte. Festzuhalten bleibt, dass die Sozialgeografie nunmehr eine weitere Option in ihrem theoretischen Arsenal zur Untersuchung von Regionalisierungen besitzt.
Autor: Peter Dirksmeier

Quelle: geographische revue, 8. Jahrgang, 2006, Heft 1, S. 63-67