Reiner Buergin: Umweltverhältnisse jenseits von Tradition und Moderne. Die Karen im Thung Yai Naresuan Weltnaturerbe in Thailand im Spannungsfeld nationaler Modernisierung und globaler Umweltdiskurse. Stuttgart 2004. 424 S.

In dem thailändischen Schutzgebiet Thung Yai Naresuan an der Grenze zu Burma, das 1991 zusammen mit dem benachbarten Huai Kha Kaeng Wildlife Sanctuary von der UNESCO zum Weltnaturerbe (World Heritage Site) erklärt worden ist, befinden sich Siedlungen der Karen - der größten ethnischen Minderheit in Thailand. Diese Siedlungen sind der Anlass für eine Auseinandersetzung, bei der sich zwei Konfliktfelder überschneiden: der Konflikt um Prioritäten des Naturschutzes - klassischer Naturschutz unter Ausschluss des Menschen versus pragmatische Schutz-durch-Nutzung-Strategien - sowie der Konflikt zwischen Regierung und Minderheiten in Thailand.
REINER BUERGIN analysiert und diskutiert die Situation der Karen im Thung Yai Naresuan Schutzgebiet im Spannungsfeld dieser Auseinandersetzung und vor dem Hintergrund der international geführten Debatte über die Rolle der Tropenwälder. Das Buch von R. BUERGIN ist aus einem Promotionsprojekt im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs Sozioökonomie der Waldnutzung in den Tropen und Subtropen hervorgegangen und 2002 als Dissertation an der
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereicht worden. Ihm liegen umfangreiche Literaturrecherchen sowie Primärdaten aus einem Forschungsaufenthalt von März 1996 bis Juli 1997 zugrunde.
Das Buch ist in vier Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil wird in das Thema "Wälder und lokale Gesellschaften" auf verschiedenen Maßstabsebenen eingeführt: der globalen, der thailändisch-nationalen sowie der lokalen Ebene des Thung Yai Naresuan Schutzgebietes. Der zweite Teil enthält eine Diskussion des gewählten Forschungsansatzes, der eine Integration von "modernen" objektivierenden Perspektiven und "postmodernen" reflexiven, d.h. die eigene Beobachterposition reflektierenden, Perspektiven versuchen will. Diese Integration soll erreicht werden über die Verknüpfung des methodischen Ansatzes der komplexen Kontextualisierung mit dem Analyserahmen des Ökosozialen Systems. Unter komplexer Kontextualisierung versteht der Autor eine möglichst umfassende Berücksichtigung von Akteuren und Faktoren, die für die Problemsituation relevant sind, darunter eben auch die individuelle Beobachterposition. Mit dem Begriff ‚Ökosoziales System' bezeichnet R. BUERGIN eine soziale Gruppierung in ihrem Verhältnis zu ökologischer (nicht-menschlicher) und sozialer Umwelt. In diesem Sinne behandelt Kapitel 3 die komplexe Kontextualisierung, d.h. die Darstellung des kulturhistorischen und soziopolitischen Hintergrundes der Karen in Thailand und in Thung Yai; eine Analyse des ökosozialen Systems von acht Karen-Siedlungen im Thung Yai Naresuan Schutzgebiet wird in Kapitel 4 durchgeführt. Kapitel 5 diskutiert Lösungsansätze für den Konfliktfall Thung Yai.
Die Arbeit von REINER BUERGIN ist ein Beitrag zu der inzwischen sehr umfangreichen Literatur über die Karen. Diese Volksgruppe, die wahrscheinlich aus Westchina stammt und von Beginn der Zeitenwende an nach Südostasien eingewandert ist, ist seit langem ein bevorzugtes Objekt westlicher Autoren verschiedener Fachrichtungen. Für dieses Interesse gibt es mehrere Gründe, z.B. die außergewöhnlichen Bekehrungserfolge amerikanischer Missionare bei den Karen in Burma, die als Resultat einer besonders starken Affinität der Karen zur christlich-abendländischen Kultur gewertet wurden, sowie der Ruf der Karen, eine ‚ökologische', d.h. besonders umweltschonende Variante des in Südostasien weit verbreiteten Schwendbaus zu betreiben. Auch im Verhältnis zur siamesischen bzw. thailändischen Regierung behaupteten die Karen gegenüber anderen Minoritäten lange Zeit eine Sonderstellung und unterhielten eigene Fürstentümer auf dem Territorium des heutigen Thailand. Mit der Konsolidierung des siamesisch-thailändischen Nationalstaates fanden sich die Karen, zusammen mit den anderen Minoritäten, aber immer mehr an den Rand der thailändischen Gesellschaft gedrängt. Als in den 1980er Jahren Entwaldung zu einer nationalen Bedrohung erklärt wurde, begann die thailändische Regierung eine Naturschutzoffensive, die sich vor allem gegen die Schwendbau treibenden Minoritäten richtete. Damit wurden die Karen - trotz ihres guten Rufes "nachhaltige" Schwendbauern zu sein - auch zu einem Objekt staatlicher Einschränkungen und Repressionen. Dies trifft in besonderem Maße auf die Karen im Thung Yai Schutzgebiet zu. Seit seiner Einrichtung als Naturerbe ist das Thung Yai Schutzgebiet zu einem Prestigeprojekt der mit Naturschutz beauftragten Behörden, vor allem des Royal Forest Department (RFD) geworden. Um den ursprünglichen Zustand des Gebietes zu erhalten, hatte sich das RFD die Umsiedlung der im Schutzgebiet ansässigen Karen zum Ziel gesetzt. An diesen Plänen entzündeten sich Proteste; es kam zu Widerstandsaktionen der Karen und der sie unterstützenden Organisationen sowie zu Militäraktionen von Seiten der Regierung.
Nach der ausführlichen Behandlung der Situation der Karen in Thailand und in Thung Yai in Kapitel 3 geht der Autor im vierten Kapitel unter der Überschrift ‚Lokaler Wandel und Dynamik der Waldnutzung' auf acht Karen-Siedlungen an der westlichen und südwestlichen Peripherie des Schutzgebietes und auf deren interne Entwicklungen während der vergangenen 50 Jahre ein. Das Kapitel enthält Informationen zur sozialen Struktur, zur traditionellen Kultur, zur Land- und Waldnutzung sowie zur Struktur und Dynamik der Dorfökonomien. Allerdings tritt die in der Kapitelüberschrift aufgeführte Dynamik der Waldnutzung, aber auch die Dynamik der Landnutzung überhaupt, in der Behandlung hinter den ausführlicher dargestellten ökonomischen Wandel, d.h. die Veränderungen der Einkommensstruktur im Übergang von Subsistenz- zur Marktorientierung, zurück. In Kapitel 5 ‚Identitäten im Wandel' wird der Gegensatz Naturschutz versus Kulturschutz diskutiert und ein Bekenntnis zum Kulturschutz als Lösungsansatz für den Konfliktfall Thung Yai abgelegt.
REINER BUERGIN hat eine sehr gründliche Studie vorgelegt. Ihre Stärke liegt in der mit Akribie und Umsicht aufgearbeiteten Menge von Informationen und Daten im Text sowie in den z.T. sehr ausführlichen Fußnoten. Besonders gut gelungen ist die Verknüpfung des lokalen Konfliktfalls Thung Yai mit der nationalen und globalen Maßstabsebene. Während das Dilemma der Karen im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Wahrung der eigenen Identität kenntnisreich und einfühlsam dargestellt wird, bleibt die Situation der Wälder weitgehend unbeleuchtet. Überhaupt werden - was eine gewisse Diskrepanz zum Buchtitel "Umweltverhältnisse jenseits von Tradition und Moderne" ausmacht - die Umweltverhältnisse, zu denen u.a. auch der Zustand der Wälder gerechnet werden muss, eher am Rande behandelt. Eine weitere Diskrepanz besteht zwischen dem Bekenntnis des Autors zu einer die Eigenposition reflektierenden Forschungsperspektive und deren Umsetzung. Die komplexe Kontextualisierung in Kapitel 3, die auch den Beobachterkontext beinhalten soll, bleibt im Wesentlichen auf eine - sehr ausführliche und kenntnisreiche - Darstellung der geschichtlichen und politischen Erfahrungen der Karen in Thailand und Thung Yai auf der Grundlage eines intensiven Literaturstudiums beschränkt. Die Beobachterposition wird dagegen in nur zwei Absätzen auf Seite 196 diskutiert.
Von diesen einschränkenden Bemerkungen abgesehen, hat der Autor einen wesentlichen Beitrag zur Literatur über die Karen und zur Diskussion über Naturschutz in der Gegenwart geleistet. In Anbetracht des großen Interesses in der Region an der von R. BUERGIN behandelten Problematik empfehle ich eine Übersetzung des Buches in die englische Sprache.    
Autor: Dietrich Schmidt-Vogt

Quelle: Erdkunde, 61. Jahrgang, 2007, Heft 2, S. 214-215