Magdalena Nowicka (Hg.): Von Polen nach Deutschland und zurück. Die Arbeitsmigration und ihre Herausforderungen für Europa. Bielefeld 2007. 312 S.

Die Begriffe "Temporäre Migration" und "Transmigration" markieren ein neues Forschungsfeld. Politisch ist es aktuell, weil Deutschland durch diesen neuen Typ der Migration insbesondere seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" betroffen ist. Theoretisch ist es interessant, weil Transmigration als Aspekt der Globalisierungs- und Europäisierungsprozesse verstanden wird und sich auf die Konstitution neuer, transnationaler sozialer Räume bezieht. Die neue Forschungsrichtung schließt einerseits an die Migrationsforschung und ihre Paradigmen an. Sie stellt andererseits neue Herausforderungen an sozialwissenschaftliche Kategorien- und Theoriebildung. Der von M. Nowicka sinnvoll zusammengestellt Band mit Beiträgen deutscher und polnischer Ökonomen und Soziologen ist somit von aktueller politischer Relevanz. Er gibt zudem auch Einblicke in die Schwierigkeiten, den theoretischen Herausforderungen gerecht zu werden.

Der Band untergliedert sich in zwei große Blöcke. Im ersten Teil werden die Migrationsprozesse "von außen" und unter Berücksichtigung der Anreize definierenden Rahmenbedingungen betrachtet. Die dann folgenden Beiträge behandeln die Arbeitsmigration aus der subjektiven Perspektive der Migranten und beleuchten die "Sozialräume", die sie konstruieren. Den ersten Block leitet B. Dietz ein mit der übersichtlichen Beschreibung der Entwicklung der ostmitteleuropäischen/polnischen Arbeitsmigration im Kontext der sich verändernden Aufnahmebedingungen sowie in Hinblick auf den Typus der Migration und die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Die beiden folgenden Beiträge von E. Hönekopp und P. Kaczmarczyk bringen weitere differenzierte Daten, problematisieren die Datengrundlagen der einschlägigen Analysen und Prognosen und setzen sich kritisch mit Annahmen und Verfahren der Modelle auseinander, nach denen vor der Osterweiterung der EU "Migrationspotenziale" prognostiziert wurden. Alle drei Beiträge belegen die große und wachsende Bedeutung kurzfristiger Arbeitsmigration (Saisonarbeiter und Pendler) und begründen somit die Bedeutung von Transmigration. Was die theoretische Debatte betrifft, betonen beide Autoren die Bedeutung von Pull- gegenüber Push-Faktoren für die Migration. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der von P. Kaczmarczyk präsentierte Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien. In beiden Fällen handelt es sich bei den Migrationsströmen um temporale Mobilität. Die unterschiedliche Migrationspolitik in beiden Staaten spricht aber unterschiedliche soziale Gruppen an. Die restriktive Regulierung des Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt soll Migranten in ausgewählte Sektoren und niedrig qualifizierte Tätigkeiten im sekundären Arbeitmarkt kanalisieren. Netzwerke, auf die Arbeitsmigranten vor allem dann angewiesen sind, wenn sie illegale Tätigkeiten aufnehmen, bilden eine weitere Zugangsbegrenzung. Beide Mechanismen zusammen haben im Fall der polnischen Arbeitsmigration nach Deutschland dazu geführt, dass niedrig qualifizierte Arbeitskräfte aus bestimmten Herkunftsregionen als Pendel- und Saisonarbeiter nach Deutschland kamen. Die legale Öffnung und die Informationen von Jobvermittlern und Internetportalen haben den Zugang zum britischen Arbeitsmarkt voll geöffnet. Obwohl auch hier niedrig qualifizierte Tätigkeiten das Angebot dominieren, bildet die Möglichkeit einer legalen Beschäftigung im primären Arbeitsmarkt einen Anreiz für qualifizierte und oft auch hochqualifizierte junge Personen, insbesondere aus der Peripherie. Der Vergleich zeigt, dass die unterschiedlichen Mechanismen der Migration "zwei unterschiedliche Migrationsstrategien konstituieren" (107).
Den Abschluss dieses Blocks bilden die theoretischen Überlegungen des Soziologen L. Pries. Zunächst wird der neue Migrationstyp der Transmigration idealtypisch eingeführt und ein Umdenken in der Integrationsforschung gefordert. Das Konzept der "Inkorporation" soll den pluri-lokalen Verflechtungen gerecht werden. Der Autor skizziert dann Bezugspunkte für unterschiedliche Inkorporationsmodelle in den großen europäischen Kernländern, die seine Skepsis gegenüber einer einheitlichen europäischen Immigrationspolitik begründen. Die Ausführungen zur "Vielschichtigkeit" der Migrationsinkorporation in Deutschland enttäuschen insofern, als der Autor bei der Betrachtung von Arbeitsmarkt und Ausbildung dem traditionellen Paradigma der Integration folgt und weder der Temporalität der Arbeit und Zirkularität der Mobilität noch der plurilokalen Verflechtung Rechnung trägt.
Der zweite Teil des Bandes präsentiert eine Vielzahl kleiner, empirisch-qualitativ ausgerichteter Studien. Als Versuch, die nationale Perspektive zu überwinden und dem Phänomen der Transnationalität in der Sozialstrukturanalyse gerecht zu werden, ist die Untersuchung zu sozialen Lagen polnischer Selbständiger in München von Nowicka und Zielinska interessant. Eine Illustration der oben angesprochen These Kaczmarczyks bietet die Untersuchung von A. S. Münst. Aus Migrationsbiographien von in privaten Haushalten tätigen, nicht registrierten Pendlerinnen im Ruhrgebiet rekonstruiert sie die Wirkungsweise von Netzwerken, die den Einstieg in die Arbeitstätigkeit eröffnen, aber keine Aufstiegskanäle bieten. Demselben Forschungsprojekt entstammt die Studie von D. Kalwa. Sie zeigt, wie polnische Pendlerinnen ihre Arbeitsphäre (häusliche Altenpflege) in Kategorien des mitgebrachten Konzeptes des "häuslichen Matriarchats" interpretieren und gestalten. Eine Analyse von E. Palenga-Möllenbeck rekonstruiert mentale Karten, ethnische Identitäten und individuelle Migrationsprojekte von schlesischen Transmigranten mit doppelter Staatsangehörigkeit. Eine Studie von B. Glorius untersucht ein - leider nicht präzise beschriebenes - Sample von polnischen Transmigranten in Leipzig, zwei Beiträge analysieren die sozialen Rückwirkungen temporärer Migration in betroffenen polnischen Gemeinden. E. Lewandowska und T. Elrick zeigen mit zwei Fallstudien (je ein Dorf mit langer bzw. moderater Migrationstradition) die Formung einer hybriden "Kultur der Migration", die als Folge der Überprägung lokaler Muster durch den Transfers von Werten, Gütern und Verhaltensweisen entsteht. Die Untersuchung von R. Jonczy befasst sich mit den Auswirkungen der - in Europa einmalig hohen - Arbeitsmigration in den von Schlesiern bewohnten Teilen der Wojewodschaft Oppeln auf die Wirtschaftsentwicklung der Region.
Autorin: Melanie Tatur

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 51 (2007) Heft 3/4, S. 255-257