Claudia Rabe: Unterstützungsnetzwerke von Gründern wissensintensiver Unternehmen. Zur Bedeutung der regionalen gründungsunterstützenden Infrastruktur. Heidelberg 2007 (Heidelberger Geographische Arbeiten 122). 274 S.
Die wachsende Beliebtheit und Bereitschaft der Anwendung netzwerkanalytischer Methoden in sozial- und wirtschaftsgeographischen Untersuchungen verdankt sich nicht zuletzt dem gegenwärtigen Paradigma eines relationalen Raumverständnisses, für das sie geradezu prädestiniert zu sein scheinen. Die Vorstellung, dass soziales und wirtschaftliches Handeln sich weder ausschließlich noch vorrangig der Autonomie des Akteurs verdankt, sondern sich vielmehr über die Beziehungen zu anderen Akteuren erschließt und damit das Eingebundensein ("embeddedness") in Netzwerkstrukturen ein wesentliches Erklärungsmoment für das Verständnis von Handlungsvollzügen darstellt, wird durch Netzwerkanalysen eindrucksvoll untermauert. Ihr umfangreiches und ständig weiter entwickeltes Repertoire an Instrumenten trägt dazu bei, differenzierte Fragestellungen in unterschiedlichsten Kontexten aufzugreifen und komplexe Antworten nicht nur textlich, sondern auch graphisch adäquat zu präsentieren.Insofern ist es ein lohnenswertes Unterfangen, den Gründungsprozess wissensintensiver Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der Netzwerkstrukturen und -funktionen der Gründerpersonen zu analysieren. Dieser Herausforderung hat sich CLAUDIA RABE mit ihrer Dissertation zu Unterstützungsnetzwerken in wissensintensiven Branchen gestellt. Die Bedeutung der regionalen gründungsunterstützenden Infrastruktur ergibt sich daraus, dass RABE unter den Begriff des Unterstützungsnetzwerkes sowohl soziale als auch regionale Netzwerke subsumiert und dies mit der bislang unzureichenden Berücksichtigung regionaler Förderkulissen (im Sinne von Institutionen, Programmen, Organisationen) begründet.
Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen als so genannte ego-zentrierte Netzwerke die Beziehungen der Gründer zu anderen Akteuren (der Alteri) des sozialen, institutionellen, privat-wirtschaftlichen und forschungsbezogenen Umfelds. Mit Hilfe teilstandardisierter Leitfadeninterviews wurden 40 Gründer im Zeitraum von 1999 bis 2002 in der Technologieregion Karlsruhe zu ihren Netzwerkkonstellationen befragt. Als forschungsleitende Fragen werden aufgeworfen: Welche Akteure (im weitesten Sinne) nehmen im Gründungsprozess welchen Stellenwert ein? Lassen sich aus strukturellen Unterschieden der Netzwerke typologische Differenzierungen ableiten? Sind aus Sicht der Gründer im regionalen Gründungsnetzwerk von Karlsruhe Defizite auszumachen?
RABEs Anliegen, die regionale gründungsunterstützende Infrastruktur als strukturelles und funktionales Netzwerkelement im Prozess der Unternehmensgründung zu berücksichtigen, scheint berechtigt, macht es doch deutlich, wie ambivalent dessen Stellenwert ist. Kaum ein Gründer kommt ohne Beziehungen zu Forschungseinrichtungen, IHK, Banken, Venture Capital-Unternehmen oder Wirtschaftsförderern aus, andererseits haben sie - mit unterschiedlicher Gewichtung - eine vorrangig formale Bedeutung. Anders formuliert: Ob die Unternehmensgründung gelingt oder nicht, hängt wesentlich von der Unterstützung der Akteure des sozialen Netzwerkes, also Ehe-/Lebenspartnern, Eltern oder Freunden und Bekannten ab, die nicht allein emotionale, sondern auch finanzielle Unterstützungsleistungen anbieten. Hierfür liefern die empirischen Ergebnisse von RABE interessante Erkenntnisse. Da es sich bei den untersuchten Unternehmensgründungen um wissensintensive Branchen handelt, werden Beziehungen zu entsprechenden Einrichtungen von den Gründern zudem meistens implizit vorausgesetzt. Die Differenzierung von Gründertypen macht vor diesem Hintergrund insofern Sinn, als jene Gründer, die über ein nur schwach ausgeprägtes Netzwerk zu Forschungseinrichtungen verfügen, eine Kompensation durch eben jene regionale gründungsunterstützende Infrastruktur erwarten, die allerdings häufig enttäuscht wird.
Wer angesichts des Titels der Arbeit eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit ego-zentrierten Netzwerkanalysen im Allgemeinen und ihrer regionalen Variante im Speziellen erwartet, wird zum Teil enttäuscht. Obgleich RABE durchgängig von ego-zentrierten Netzwerken spricht, erfüllt sie nicht alle damit im Zusammenhang stehende Eigenschaften. So werden die für diese Art von Netzwerken ebenso wichtigen Beziehungen der Alteri untereinander als nicht relevant ohne weitere Begründung von ihr ausgeklammert. Für eine qualitativ adäquate Beurteilung des regionalen Gründernetzwerkes - aus der Sicht der Gründer als Beobachter erster Ordnung, aber auch aus Sicht der Forscherin als Beobachterin zweiter Ordnung - ist gerade dieser Aspekt nicht vernachlässigbar. Dies führt dann auch dazu, dass Maßzahlen wie die Dichte des Netzwerkes und die Multiplexität zwischen Ego und den Alteri nicht genutzt werden (können). Auch ist nicht ganz nachvollziehbar, warum RABE im Kontext der empirisch begründeten Typenbildung von Unterstützungsnetzwerken spezielle Beitragsindices entwickelt, die zudem nur eine einfache Addition kategorialer Werte darstellen - denn hier liegen mit Verfahren der Multidimensionalen Skalierung oder der Korrespondenzanalysen bereits ausgefeilte Methoden zur Anwendung bereit.
Manche Geographinnen und Geographen, die sich für den räumlich-regionalen Kontext der Netzwerkanalysen interessieren, mögen sich am ‚Ausschließlichkeits-Dogma', das einigen gegenwärtigen Raumansätzen zugrunde liegt, stören - und das zu Recht. Im theoretischen Teil ihrer Arbeit vertritt RABE ein dezidiert relationales Raumverständnis, welches, in Anlehnung an WEICHHART, für den Regionsbegriff als "ein kontextualisiertes Gefüge oder Ensemble aufeinander bezogener ‚Action Settings' auf der Meso- und Makroebene" (S. 59) spezifiziert wird. Problematisch ist dabei nicht das Raumverständnis per se, im Gegenteil. Problematisch ist vielmehr der ausschließliche Bezug zur Relationalität, der im weiteren Verlauf der Arbeit dann auch nicht mehr aufrechterhalten wird und auch nicht aufrechterhalten werden kann. Sowohl im Kontext der Diskussion um die Bedeutung der räumlichen Nähe (S. 61ff.), als auch der räumlichen Dimension von Wissen - "somit dürfen räumliche Unterschiede des Wissens in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen keinesfalls ignoriert werden" (S. 65) - sowie der administrativen (und eben nicht relationalen) Abgrenzung der Untersuchungsregion Karlsruhe (S. 91ff.), zeigt sich, dass Raum ein komplexes, topologisch-geometrisches System ist, das sich nicht auf eine Dimension reduzieren lässt. So bleibt schließlich für die Entstehung regionaler Netzwerke noch zu betonen, wie MANGER (2006, S. 240) dies zu Recht tut, "dass die Region ja zumeist schon vorher mit zahlreichen Beziehungen, aber ohne das zu gründende Netzwerk existent war".
Autor: Andreas Koch