Britta Klagge: Armut in westdeutschen Großstädten. Strukturen und Trends aus stadtteilorientierter Perspektive. Eine vergleichende Langzeitstudie der Städte Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hannover und Stuttgart. Stuttgart 2005. (Erdkundliches Wissen, Band 137). 310 S.

Die interessante Studie zur Armut in deutschen Großstädten untersucht an fünf ausgewählten Beispielen deutscher Großstädte - Essen, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hannover und Stuttgart - das Phänomen der Armut in sozialräumlicher Perspektive. Armut ist kein neues Phänomen in Großstädten. Sie hat jedoch im Zuge des Wandels zur postindustriellen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und der unterschiedlichen Anpassungsfähigkeit einzelner Bevölkerungsgruppen an die veränderten Arbeitsmarktbedingungen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Immer mehr Haushalte sind daher auf staatliche Transferleistungen zum Lebensunterhalt angewiesen. Analysiert werden Struktur und Dynamik der Segregation sowie der Wohnstandortmuster von Bevölkerungsgruppen, die unter Verwendung des Indikators Sozialhilfebezug als arm definiert werden.

Die besonderen Schwierigkeiten einer solchen städteübergreifenden, vergleichenden empirischen Längsschnittuntersuchung liegen nicht nur im Vorhandensein für alle Städte geeigneter Indikatoren und vergleichbarer Daten für einzelne Zeitquerschnitte, sondern auch in der Wahl einer geeigneten problembezogenen räumlichen Bezugsbasis. In der vorliegenden Arbeit wird der Stadtteil als statistische Bezugsbasis gewählt. Dies hat den Vorteil, dass auf dieser Ebene für alle Städte vergleichbare Daten zur Verfügung stehen. Für eine Segregationsanalyse ist diese Bezugsbasis aufgrund der großen Spannweite in Größe und Zusammensetzung der Einwohner jedoch nicht ohne Probleme. Besonders Segregations- und Dissimilaritätsindex reagieren bekanntermaßen sehr bezugsbasisempfindlich. Aufgrund der Heterogenität der Stadtteile fallen die entsprechenden Segregationswerte erwartungsgemäß auf Stadtteilbasis teilweise sehr niedrig aus. Über alle Städte lassen sich dennoch einige auffällige Unterschiede und Tendenzen in der Armutssegregation erkennen.
Ausgehend von einer mit dem Clusterverfahren gewonnenen Stadtteiltypisierung werden die Zusammenhänge zwischen Raummustern und Raumdynamik der Armut und der Ausstattung und Entwicklung der einzelnen Stadtteile für jede einzelne Großstadt seit Ende der achtziger Jahre differenziert untersucht und mit Karten (im Anhang) belegt. In allen Städten lassen sich auffällige Schwerpunkte räumlicher Armut feststellen, bei denen es sich vor allem um ältere statusniedrige Stadtteile der erweiterten Innenstadt und Stadtteile des frühen sozialen Wohnungsbaus handelt. Zwischen den einzelnen Städten bestehen jedoch auch auffällige Unterschiede.
Die Ergebnisse des Raum-Zeit-Vergleichs zeigen, dass die Verteilungsmuster über den beobachteten Zeitraum in allen Städten relativ stabil sind. Für diesen Befund dürfte aber auch eine Rolle spielen, dass die betrachtete Zeitspanne relativ kurz ist. Wo es zu Verlagerungen von Armutsbevölkerung in den neunziger Jahren gekommen ist, sind diese teilweise unter dem Einfluss kommunaler Akteure vor allem in Gebiete mit neu errichteten Sozialwohnungen erfolgt. Für die innenstadtnah gelegenen Stadtteilen mit älteren Sozialwohnungen deuten die Befunde darauf hin, dass es vor allem die Schrumpfungsprozesse im Sozialwohnungsbestand und parallel dazu verlaufende räumlich selektive Gentrifikationsprozesse sind, die die räumliche Dynamik der Armutsbevölkerung und die dort zu beobachtenden räumlichen Polarisierungs- und Fragmentierungsprozesse beeinflussen. Zu den wesentlichen Ergebnissen gehört zweifellos, dass für die fünf untersuchten deutschen Großstädte ein eindeutiger Nachweis für das in der Literatur seit den neunziger Jahren kontrovers diskutierte Szenario einer sozialräumlich gespaltenen Stadt nicht erbracht werden konnte. Stadtteilbezogene Untersuchungen belegen allerdings, dass Segregationsprozesse oft in stärkerem Maße kleinräumig ablaufen und zu entsprechenden räumlichen Differenzierungsprozessen führen. Die vermeintliche Stabilität der Segregation auf der Makroebene der Stadtteile kann daher kleinräumige Verdrängungs- oder Verstärkungsprozesse durchaus überdecken. Auf diese Problematik weist die Autorin hin.
Relativ kurz und sehr allgemein ausgefallen sind am Schluss die anwendungsbezogenen Ausführungen zu planungspolitischen Steuerungspotenzialen. Trotz einiger, in erster Linie datenbedingter Schwächen liegt der eigentliche Wert der aufschlussreichen Arbeit in dem städteübergreifenden Raum-Zeit-Vergleich der räumlichen Dynamik und Segregation der Armutsbevölkerung. Vergleichende Untersuchungen dieser Art bilden immer noch eine Seltenheit in der stadt- und sozialgeographischen Forschung. Aus dieser Sicht leistet die vorliegende Arbeit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur sozialgeographischen Stadtforschung, sondern auch zur sozialwissenschaftlichen
Armutsforschung.
Autor: Günther Glebe

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 52 (2008) Heft 1, S. 70-72