Der Clusteransatz als Deus ex Machina der regionalen Wirtschaftsförderung? Über externe Agglomerationsvorteile, Wissensspillover, technologische Kompetenzfelder und Netzwerke

Selektion und Kopieren erfolgreicher Routinen gehören aus Sicht der Evolutionsökonomik zu den Standards eines gelungenen Strukturwandels. Betrachtet man die mit den rezenten Wirtschaftsentwicklungen verbundene jüngere Ideengeschichte zur räumlichen Dimension wirtschaftlichen Wachstums als solche Interpretationsroutinen, so scheint sich der Clusteransatz gegenüber alternativen Konzepten eindeutig durchzusetzen.

Damit nicht genug: In der aktuellen Wirtschaftsförderung wird natürlich auch versucht, die real existierenden Erfolgsmodelle in verschiedenem Umfang zu kopieren. Die große Zahl der aktuell kreierten "valleys" legt Zeugnis ab von dieser anhaltenden Entwicklung, deren innovative Wissensbasis gemessen an den vielfältigen Förderkonzeptionen erstaunlich gering ist, sich allerdings in den letzten Jahren durch eine Reihe von Publikationen dann doch enorm verbreitert hat.

Pontus Braunerhjelm, Maryann P. Feldmann (Hg.): Cluster genesis. Technology-based industrial development. Oxford 2006. 336 S.

Der von Braunerhjelm/Feldman herausgegebene Sammelband betont zu Recht die anhaltende Bedeutung des Wissens um die Besonderheiten der Clusterentstehung auch für eine erfolgreiche Förderung und Entwicklung von Clustern, indem er eine Reihe sehr interessanter Fallstudien zur Problematik vorstellt. In ihrem Eingangskapitel verweisen die Herausgeber zunächst auf die Bedeutung einer evolutionär-dynamischen Betrachtungsweise von Clustern - im Gegensatz zu einer mechanistischen Komponentenauffassung - insbesondere auch für eine erfolgreiche Wirtschaftsförderungspolitik. Dabei werden in Anlehnung an den klassischen Produktlebenszyklus drei Entwicklungsphasen unterschieden: Am Beginn der Clusterentwicklung steht ein auslösendes Ereignis (initial seeding event), wobei es sich um besondere soziale oder natürliche Konditionen und Ressourcen einer spezifischen Lokalität handelt. Entscheidend für die Clusterformierung ist der dann einsetzende Prozess, dessen erfolgreicher Verlauf durch dynamische unternehmerische Aktivitäten, entsprechende Institutionenbildungen sowie dem Wirksamwerden von Agglomerationsvorteilen getragen wird. In dieser zweiten Phase entwickeln sich die für Cluster typischen Standortvorteile, die dann in einer dritten Phase (Konsolidierung) zur Herausbildung von deutlichen Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen, in der Initialphase durchaus vergleichbaren Standorten führen. Im Kontext dieser Clusterperzeption werden acht interessante Fallstudien vorgestellt. Zunächst geht es um die Betrachtung von drei etablierten Clustern: Scott beschäftigt sich mit der Lokalisierung der Filmindustrie in Hollywood und betont klimatische und institutionelle Faktoren, aber vor allem auch die dort vollzogene Kreation und Implementierung neuer Geschäftspraktiken, die dem Standort zu seinem anhaltenden Erfolg verhalfen. Kennedy/Patton beschäftigen sich mit dem Klassiker Silicon-Valley und verweisen hier sowohl auf die Bedeutung struktureller wie individueller Aspekte für dessen Erfolgsstory. Owen-Smith/Powell analysieren die Entwicklung der Biotechnologiecluster in Boston und San Franzisko und heben das Auftreten konvergenter Entwicklungsstrukturen trotz unterschiedlicher Ausgangskonstellationen hervor. Insgesamt handelt es sich um ausgezeichnete ex-post Analysen, die den Erkenntniswert der evolutionärdynamischen Perspektive bestätigen.
Die folgenden Fallstudien thematisieren Entwicklungsprozesse entstehender Cluster in der Hightech-Industrie am Beispiel von Biotechnologieclustern in den USA (Biotherapie), China (Ostküste) und in Skandinavien. Diese hochinteressanten Fallstudien verweisen in ihren jeweiligen regionalen Kontexten auf unterschiedliche Aspekte der Clusterformation und -entwicklung und unterstreichen ebenfalls eindrucksvoll die Bedeutung der evolutionären Perspektive. Die Studien zum ICT-Cluster Irland und die besondere Bedeutung ausländischer Direktinvestitionen bei seiner Formierung sowie die Fallstudie zur Herausbildung der "Venture Capital Industry" in Israel schließen den zweiten Teil ab und sind deutlich deskriptiver ausgerichtet, aber nicht weniger interessant und informativ. Der abschließende Teil des Buches ist zwar mit Blick auf Förderpolitiken gestaltungsorientierten Fragestellungen gewidmet, setzt jedoch die analytische Diskussion auf sektoraler Ebene wiederum am Beispiel der Biotechnologie fort. Orsengio verweist mit Bezug auf die Konzentration wissenschaftlichen Erfahrungswissens für die Clusterentwicklung auf die Bedeutung von Agglomerationseffekten und sieht die Lokalisation dieses Wissens als essentielle Voraussetzung einer darauf aufbauenden Clusterentwicklung an. Maggioni stellt ein formalisiertes Phasenmodell vor, betont die Rolle der Technologieentwicklung und diskutiert die Wirkung von Förderansätzen auch unter zeitlichen Aspekten (Ausstattungsansätze versus Anreizansätze). Wolfe/Gertler setzen sich in einem weiteren Beitrag dann mit der Frage der pfadabhängigen Clusterentwicklung bzw. mit der Bedeutung von Zufallsereignissen für die Clusterentstehung auseinander. Im abschließenden Beitrag von Carlson geht es um die Frage einer angemessenen Förderstrategie. DerAutor verweist dabei auf die Bedeutung individueller Initiativen und die Risiken formalisierter Förderung. Insgesamt bietet der Sammelband eine Fülle von Informationen über regionale Fallbeispiele und diskutiert vor allem Aspekte des Gründungsgeschehens und der Entwicklungsdynamik von Clustern. Trotz einiger kritischer Anmerkungen handelt es sich in der Summe um ein den evolutionären Clusteransatz differenziert und positiv darstellendes Werk, welches die gegenwärtige Clustereuphorie sicherlich mit angeheizt hat, ganz gewiss aber auch zu einer versachlichten Diskussion beiträgt.

Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) (Hg): Ökonomische Entwicklungskerne in ostdeutschen Regionen. Branchenschwerpunkte, Unternehmensnetzwerke und innovative Kompetenzfelder der Wirtschaft. Halle 2006. 399 S.

Die vom IWH imAuftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung durchgeführte Studie setzt sich zwar mit dem Clusterkonzept Porters auseinander, reduziert aber aus pragmatischen Gründen den eigenen Forschungsansatz auf nur drei wesentliche Elemente der Diskussion, die auch im Untertitel der Studie genannt sind.Mit Hilfe von zwei Indikatoren (Gini-Koeffizient und Konzentrationsrate) lassen sich durch Sekundärdatenanalyse zunächst Branchenschwerpunkte in Ostdeutschland nach 60 Wirtschaftszweigen beschreiben. Zur Identifizierung von Unternehmensnetzwerken wurde eine eigene Befragung bei elevanten Behörden und Interessensvertretungen durchgeführt. Innovative Kompetenzfelder wurden ergänzend über die Zahl der Patentanmeldungen ermittelt. Durch Kombination dieser drei Merkmale wurden dann bestehende oder ansatzweise existierende ökonomische Entwicklungskerne identifiziert. Im Ergebnis ergibt sich eine interessante Beschreibung der regionalen Verteilungsmuster der ostdeutschen Wirtschaft auf der Ebene der Raumordnungsregionen, die eine Vielzahl von Informationen zu den verschiedenen Regionen enthält und deren Präsentation auch ca. zwei Drittel des Volumens der Studie ausmacht. Insgesamt handelt es sich um eine wissenschaftliche Studie für die Praxis, jedoch eher um eine Art Bestandserfassung oder Inventarisierung. Die strategische Interpretation der detaillierten Implikationen war wohl auch nicht Bestandteil des Auftrages. Sicherlich wurde hier eine wertvolle Grundlage für darauf aufbauende Detailstudien geschaffen. Indirekt wurde damit auch bestätigt, dass sich die qualitativen Dimensionen des Clusteransatzes nicht über eine flächendeckende Untersuchung bearbeiten lassen.

Matthias Kiese, Ludwig Schätzel (Hg.): Cluster und Regionalentwicklung. Theorie, Beratung und praktische Umsetzung. Dortmund 2008. 350 S.

Der von Kiese/Schätzl herausgegebene Sammelband will zum Thema Cluster einen Beitrag zur Integration von Wissenschaft und Praxis leisten. In der Tat präsentiert der aus einer Ringvorlesung entstandene Band eine beeindruckende und umfangreiche Mischung aus theorie- und praxisbezogenen Beiträgen. Dabei entspricht das quantitative Verhältnis zwischen Theorie- und Praxisbeiträgen der von den Herausgebern am Anfang konstatierten "Übermacht" der Praxis. Eigentlich weisen nur zwei von insgesamt 15 Beiträgen eine ausgesprochen theoriebezogene Orientierung auf, während in den restlichen Beiträgen empirische Fallbeispiele vorgestellt werden. Der Sammelband ist in drei Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil geht es um die wirtschaftsgeographische Clusterforschung. Kiese gibt hier einen ausgezeichneten und sehr lesenswerten Überblick zu Stand und Perspektiven der regionalen Clusterforschung. Ebenso überzeugend sind die Ausführungen von Mossig zu den Entstehungs- und Wachstumspfaden von Clustern. Bei den beiden nachfolgenden Beiträgen (Clusterentwicklung und Unternehmensgründungen am Beispiel der optischen Technologie in Südostniedersachsen/ Informations- und Kommunikationswirtschaft der Region Hannover als innovative Cluster) schwächt sich die theoriegeleitete Darstellungsform zugunsten der einzelfallbezogenen Empirie bereits deutlich ab. Im zweiten Teil werden Begründungszusammenhänge für eine Clusterförderung im Kontext der Wirtschaftsförderung diskutiert. Zunächst wird das von McKinsey vertriebene Zehnpunkte-Programm zur Stärkung der Wirtschaftskraft von Regionen mit seinem Vier- Phasenmodell vorgestellt. Dieser Beitrag bietet interessante Einblicke in die Kreation und Begründung von Machbarkeit. Ein weiterer Beitrag setzt sich kenntnisreich mit ebendieser Frage von Machbarkeit sowie der politischen Gestaltbarkeit von Clusterkonzepten auseinander, während der abschließende Beitrag die Perspektive wechselt und die Nutzung des Clusteransatzes aus Unternehmenssicht diskutiert. Im dritten Abschnitt werden die Wolfsburg AG, das dortmundt-project, das Hannover-Projekt, die Weserbergland AG, die projektRegion Braunschweig GmbH, und die Süderelbe AG als praktische Beispiele angewandter Clusterkonzepte der Wirtschaftsförderung vorgestellt und diskutiert. Natürlich bieten diese Beiträge dem Praktiker eine Fülle von Erfahrungen und Ansätzen für eigenes Handeln, aber auch hier gilt die aus dem Verbraucherschutz entlehnte Weisheit: Es ist nicht überall Cluster drin wo Cluster draufsteht. In ihrem resümierenden Schlussbeitrag stufen die Herausgeber die Diskussionsbeiträge ihres Sammelbandes in aller Bescheidenheit als "inspirierend und bestenfalls irritierend" (273) ein. Als Rezensent mag man vor soviel selbstkritischer Bescheidenheit fast verstummen, nicht jedoch ohne vorher darauf zu verweisen, dass es Herausgebern und Autoren gelungen ist, eine hochaktuelle Zustandsbeschreibung und Analyse des Themenfeldes "Cluster und Regionalentwicklung" vorzulegen, die allen mit der Thematik befassten Personenkreisen als Pflichtlektüre empfohlen wird.
Autor: Walter Thomi

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 52 (2008) Heft 2/3, S. 180-182