Matthias Krämer: Globale Gefährdung pflanzengenetischer Ressourcen. Perspektiven aus Sicht der Ökologischen Ökonomie. Frankfurt/M 2000. 267 S.

Christoph Görg, u. Ulrich Brand: Mythen globalen Umweltmanagements. Rio+10 und die Sackgassen "nachhaltiger Entwicklung". Münster 2002. 217 S.

Michel Chossudovsky: Global brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg. Frankfurt/M 2002. 477 S.

Krämer geht es um einen Beitrag zur Realisierung der 1992 in Rio beschlossenen Konvention zum Schutz biologischer Diversität (CBD), die durch die Expansion industrialisierter Landwirtschaft bedroht wird. Von einem ökologisch-ökonomischen Ansatz her will er das Verständnis von Agrobiodiversität als "Vielfalt und Variabilität von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen" (239) gesellschaftswissenschaftlich erweitern. Eine kritische Institutionsanalyse geltender Umweltregime zeigt, dass die Bewahrung, nachhaltige Nutzung und Verbesserung der Agrobiodiversität, also auch der "Produktivität der Agroökosystemfunktionen", nur durch aktive staatliche Steuerung möglich sind (ebd.). An Hans Jonas orientiert begründet er dies verantwortungsethisch.
Im Rahmen der 1994 etablierten WTO verstärkt sich der Zugriff kapitalistischer Verwertungsinteressen auf die Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen. Die Institutionalisierung intellektueller Eigentumsrechte im TRIPS-Abkommen treibt seither die hochtechnologische Aneignung der Biodiversität durch transnationale Konzerne voran. Für Krämer geht es dabei um die Aneignung "intangibler Informationswerte, die einen ausgedehnten und zunehmend privaten Rechtsschutz (Patente, Sortenschutz etc.) erfahren, obwohl sie eher den Charakter eines öffentlichen Gutes besitzen" (16). Mit dieser Erklärung verfehlt er sowohl den stofflichen Charakter der Ressourcen als auch den materiellen Charakter von Informationen und Eigentumsrechten. Treffend allerdings ist seine Analyse der vielfältigen Widersprüche ökonomischer Verwertungsstrategien in Anbetracht komplexer gesellschaftlicher Naturverhältnisse und vielfältiger sozialer Widerstandsbewegungen. Nicht zufällig sehen Privatunternehmen, neoliberale Ökonomen und andere herrschaftsdienliche Experten davon ab, dass kollektives Wissen über die natürliche Umwelt in der Praxis gesellschaftlicher Gruppen verwurzelt ist. Letztere sind in ihrer Lebenspraxis auf den Umgang mit territorial gebundenen, komplex zu verstehenden Ressourcen angewiesen und wehren sich vielfältig gegen deren Ausplünderung. Der Widerstand unterdrückter indigener Gemeinschaften wird zum Kristallisationspunkt breiterer sozialer Kämpfe gegen eine monokulturelle Expansion bio- und gentechnologisch ›hochgezüchteter‹ industrialisierter Landwirtschaft.
Die acht Beiträge des Bandes von Brand/Görg artikulieren den Protest gegen eine machtkonservierende integrative Verwendung des Begriffs nachhaltiger Entwicklung. Letzterer hat den Hg. zufolge seit Rio als "Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens" fungiert (12ff); Achim Brunnengräber zeigt dabei, wie nachhaltige Entwicklung auf den engen Bereich der Klimapolitik und den Einsatz ökonomischer Instrumente zur Problemlösung verkürzt wird. Christa Wichterich kritisiert die selektive Behandlung geschlechtsspezifischer Aspekte im Konzept nachhaltiger Entwicklung. Ohne dies näher belegen zu können, sieht sie im Text der Agenda 21 eine "nachhaltige Entwicklung durch Handelsliberalisierung " angepriesen (77). Silvia Rodríguez Cervantes schließt ihren Bericht eines Aktionsforschungsprojekts zu "Biodiversitäts-Politik und lokaler Gegenmacht" in Costa Rica mit dem Eingeständnis verlorener Hoffnungen ab (149). Sie hält jedoch optimistisch daran fest, dass auch kleine Schritte in Richtung Bewusstseinsbildung ("conscientización") und "empowerment" verändernd wirken können (ebd.). Der Leiter der äthiopischen Umweltschutzbehörde, Tewolde Egziabher, hält an der Perspektive einer "Nachhaltigkeitswende in der Landwirtschaft" (174) fest. Er verortet diese nicht merkantilistisch in Fragen ein- oder mehrseitiger Handelsliberalisierungen, sondern auf dem Boden der afrikanischen Produktionswirklichkeit: denn die weitgehend auf Subsistenz orientierte Landwirtschaft subventioniert andere Sektoren - und nicht umgekehrt. Der seit den Kolonialregimen erzwungenen Privatisierung von Land, das zum Eigentum männlicher Privatpersonen wurde, setzt er in seiner Konkretion der ›Deglobalisierung‹ die Notwendigkeit entgegen, ländliche Gemeinschaften zu erhalten und zu stärken - durch gesetzliche Festschreibung ihrer Rechte und eine "Regulierung des Zugangs zu biologischen Ressourcen" (154). Damit würden die von der FAO kodifizierten "Farmers Rights" etwa durch ein Verbot der Patentierung von Lebewesen konkretisiert. Praktisch-strategisch setzt Egziabher gegen die Interessen ›des Nordens‹ auf Organisationen wie die UNO (169) und beklagt, dass "der Norden die UNO umgangen und völlig unabhängig von ihr die WTO gegründet sowie auf individuelle und selektive Art und Weise die Länder des Südens in die WTO-Mitgliedschaft gezwungen hat und immer noch zwingt" (170).
Die Dominanz der "Gen-Giganten" innerhalb der global operierenden Gesundheits- und Lebensmittelindustrie führt Silvia Ribeiro zufolge über die Privatisierung gemeinschaftlicher Bereiche zur Biopiraterie am genetischen Erbe (118f). Nach dem Vorbild des englischen Staates, der Piraten als Korsaren autorisierte, spricht sie von "Bio-Korsaren", da diese sich durch internationale Abkommen zur Expropriation von Gemeineigentum ermächtigen lassen. Die Unzulänglichkeiten staatlicher Verantwortung ergeben sich dabei nicht nur aus einer abweichenden administrativen "geographischen Verortung der indigenen Völker" von ihren realen Lebensräumen (127) - diese fallen nicht zufällig mit den verbliebenen Restbeständen an Räumen mit hoher Biodiversität zusammen. Auch die in Rio beschlossene und von den USA noch immer nicht ratifizierte CBD ist nach Ribeiro ein zweischneidiges Schwert: die darin normierte nationale Souveränität über Ressourcen bedeutet auch, dass z.T. schon zu Kolonialzeiten überführte genetische Sammlungen in den Metropolen vollends den Mutterländern anheim fallen. Sie dient darüber hinaus auch der Einbindung südlicher Länder in eine transnationale Politik kapitalistischer Inwertsetzung ihrer Ressourcen. - Henri Acselrad, als brasilianischer Ökonom an den Vorbereitungen zur Rio-Konferenz von 1992 beteiligt, beschreibt, wie die Agenda des Marktes in Form des "Washington-Konsensus" die Umweltpolitik eroberte und sich durch Entpolitisierung auch in der Nachhaltigkeitsdebatte einnisten konnte. Umweltprobleme würden so bedenkenlos als "weiterer Grund" (55) für neoliberale Reformprogramme ausgegeben. Ökologische Definitionen spielten auch bei Eingriffen der brasilianischen Militärs in die innere Entwicklung des Landes eine Rolle. Dennoch gibt Acselrad die Perspektive ökologischer Gerechtigkeit nicht auf, will sie aber lösen von Formen einer kompromittierenden "konsensualen Post-Demokratie" (61ff). - Enrique Leff schließlich schreckt nicht davor zurück, von der "Geopolitik nachhaltiger Entwicklung" zu sprechen, deren Zeitalter mit den nach Rio beschlossenen internationalen Umweltabkommen begonnen habe. Im Gegensatz dazu hätten die indigenen Völker durch eine Vielzahl eigener Projekte eine neue Bewegung zur Wiederaneignung der Natur in Gang gebracht. "In diesem Sinn bildet sich die Geopolitik der ökonomisch-ökologischen Globalisierung als ein konfliktives Feld heraus." (115) Ansätze ökologischer Ökonomie und politischer Ökologie bieten daher unverzichtbare Instrumente zur Kritik der politischen Ökonomie neoliberaler Globalisierung.
Chossudovsky verdeutlicht anhand von zehn Fallstudien aus dem Trikontinent und der ehemaligen Sowjetunion die Politik der Bretton Woods Institutionen. In über 150 Ländern wurden Strukturanpassungsprogramme durchgeführt, Staatsausgaben eingeschränkt, Sozialsysteme abgebaut, Industrien privatisiert, um den Verpflichtungen des Schuldendienstes gegenüber den Gläubigern aus dem Norden nachzukommen. Neben den weitgehend bekannten wirtschaftlichen Fehlentwicklungen der Länder Süd- und Südostasiens sowie Lateinamerikas untersucht Verf. insbesondere das Zusammenspiel von Weltmarkt-Liberalisierung z.B. des Kaffeemarktes mit den politisch-militärischen Katastrophen vor Ort, etwa in Ruanda und Äthiopien. Nicht nur dort wurde zum Schaden einer diversifizierten und bodenständigen afrikanischen Landwirtschaft genetisch modifizierte Nahrung als Katastrophenhilfe abgeworfen. Insgesamt wird Strukturanpassung deutlich als Verdrängung lokaler Märkte zugunsten des Markt- und Produktionssystems transnationaler Konzerne, die eine globale Niedriglohnökonomie durchsetzen (88ff).
Die Steigerung des weltweiten Elends führt Verf. auf Erfolge transnationaler Kapitalfraktionen zurück, internationale Institutionen wie die WTO für ihre Interessen zu gewinnen. Zugleich vermag etwa die Weltbank kritische Potenziale in fruchtlose Debatten zu verwickeln. Entsprechend geißelt Verf. Entwicklungsforscher und NGOs, die "den Anschein einer kritischen Debatte [...] erwecken, ohne die sozialen Grundlagen des globalen Marktsystems aufzudecken" (52). Das "Gegenparadigma" einer "moralischen Kritik", die "›nachhaltige Entwicklung‹ und ›Bekämpfung der Armut‹ einfordert", rechnet Verf. entsprechend, aber eben doch verkürzt einer "harmlosen Strömung der Globalisierungskritik " zu (ebd.). In einem für die deutsche Ausgabe hinzugefügten Kapitel nimmt Verf. den Raubbau an fremden Energieressourcen in den Blick. Der "Schutz" der dafür notwendigen Infrastruktur führt zur "Militarisierung großer Weltregionen" (414) und zur Eskalation lokaler bzw. regionaler Konflikte zu globalen Konfrontationen. Fragen einer vernünftigen Energie- und Umweltpolitik sind daher untrennbar mit Fragen global nachhaltiger und gerechter Entwicklung des Weltsystems verbunden.
Autor: Rolf Czeskleba-Dupont

Quelle: Das Argument, 45. Jahrgang, 2003, S. 908-911