Ji Giles Ungpakorn (Hg.): Radicalising Thailand. New political perspectives. Institute of Asian Studies, Chulalongkorn University. Bangkok 2003. 331 S.

Die thailändischen Autorinnen und Autoren des Sammelbands verstehen sich als Teil einer "neuen marxistischen Linken" (1f), sie diskutieren mit us-amerikanischen und australischen Linken über Chancen sozialistischer Politik in Thailand. Zu Grunde liegt ihrer Diskussion eine Kritik der maoistischen Politik der KP Thailands, der früher einzigen relevanten linken Kraft.

In den 1930er Jahren, als sich große Teile der thailändischen Eliten für Nazi-Deutschland begeisterten, entstanden illegal erste kommunistische Zirkel im Bangkoker Chinesenviertel. Nach dem 2. Weltkrieg war die KP im Parlament vertreten und genoss besonders die Unterstützung von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern, Lehrern und den Bauern im Isan (Nordost-Thailand). Kommunistische Kampfgruppen begannen 1965 einen bewaffneten Kampf und errangen spektakuläre Siege gegen verschiedene von den USA unterstützte Regierungen. Als am 14. Oktober 1973 und am 6. Oktober 1976 studentische Proteste blutig niedergeschlagen wurden, gingen Tausende Studenten und Studentinnen in den Dschungel, um mit der KP gemeinsam zu kämpfen. In befreiten Gebieten entstanden neue ökonomische, politische und kulturelle Strukturen. Die KP war aber auch ein Kampfplatz konkurrierender Fraktionen, die sich an Peking oder Hanoi oder Vientiane anlehnten. Zermürbt von innerparteilichen Auseinandersetzungen und mit Aussicht auf eine Generalamnestie gaben Mitte der 80er Jahre die letzten Kämpferinnen und Kämpfer ihre Waffen ab - ein Ereignis durchaus vergleichbar mit dem Zusammenbruch des staatsbürokratischen Sozialismus in Europa wenige Jahre später. 1997 erschütterte die Asienkrise das Land und es wurde wieder über sozialistische Perspektiven diskutiert, z.B im Workers' Democracy Book Club, der 1998 die erste Ausgabe des Kapital auf Thai herausgab.
Hg. ist prominenter Teilnehmer an diesem Diskurs, ein landesweit bekannter Intellektueller der außerparlamentarischen Opposition, kommunistischer Ex-Partisan, der heute Politikwissenschaft lehrt. Eingedenk des Begriffs ›permanente Revolution‹ untersucht er den ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Klassenkampf der pu-noi, der kleinen Leute (14f). Mit den Massakern an der studentischen Jugend 1973 und 1976 versuchte die herrschende Klasse, "die weitere Entwicklung der sozialistischen Bewegung in Thailand" zu beenden (192). Die KP-Führung hatte ihre Strategie und Taktik buchstabengetreu an Mao Tse-tungs Periodisierung der chinesischen Geschichte ausgerichtet. Noch in den 70er Jahren betrachtete sie Thailand als "semifeudale Halbkolonie der USA" (15), die sich nach einer von Bauern getragenen Revolution zu einem nationalen Kapitalismus mit parlamentarischer Demokratie entwickeln müsse. Aber bereits seit dem letzten Drittel des 19. Jh., so Hg., seit Ende des "Sakdina-Systems" (6), jener ganz eigenartigen vormodernen Gesellschaftsform im alten Siam, herrschte die kapitalistische Produktionsweise. Als 1973 und 1976 die radikalisierte Jugend mit ihren teilweise sozialistischen Forderungen in die KP eintrat, wurde sie gemaßregelt; viele verließen enttäuscht die Partei. Hier schließen die Lebenserinnerungen von Wipa Daomanee an, die 1976 als Studentin Bangkok verließ, um im Dschungel "zu sterben oder zu kämpfen bis zum Sieg der Revolution" (171). Sie schildert, wie führende Kader gegen das Diskutieren außerhalb der Schulungsräume vorgingen und verlangten, alle menschlichen Gefühle, Liebe, Sexualität und sinnliche Körperlichkeit als "bürgerliche Überreste" abzulegen und nur noch der Partei und dem Genossen Mao zu dienen (174).
Peter F. Bell untersucht die Zyklen sozialer Kämpfe. Er sieht Ende der 80er Jahre den Beginn einer neuen Etappe des Widerstands, der sich gegen ein von der Weltbank bestimmtes, exportgetriebenes Akkumulationsregime richtet - einen "autonomen Kampf" (41), außerhalb von Parteistrukturen und ohne Kontrolle durch korrupte Gewerkschafts-führungen, getragen von Frauen, die in den Exportindustrien arbeiten und mit ihren Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen den kapitalistischen Ausbeutungsprozess unterbrachen: Sie bilden "das Zentrum eines intensiver gewordenen Klassenkampfes" (63). - Jim Glassman will eine "neo-marxistische Erklärung" der Wirtschaftskrise von 1997 in Thailand (75) geben. Seit 1990 verschlechterten sich die Verwertungsbedingungen des thailändischen Kapitals dramatisch: Arbeiter erkämpften Lohnerhöhungen, die die Produktivitätssteigerung übertrafen, und die Exportindustrie wurde vom "Aufstieg Chinas zu einer Exportweltmacht" (92) getroffen. - Für Kevin Hewison enthüllt die Analyse der Krisenprozesse von 1997 auch das Wesen der "nationalistisch-populistischen" Politik (138) der seit 2001 amtierenden Regierung unter dem Tycoon Thaksin Shinawatra und der Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais): Sie will die Wettbewerbsfähigkeit des thailändischen Kapitals durch Produktivitätssteigerungen und Lohnsenkungen wieder herstellen. Dazu ist ein "neuer Gesellschaftsvertrag" (120) notwendig, den sie u.a. mit staatlicher Gesundheitsfürsorge und einem ländlichen Kreditprogramm materiell absichern will.
Nach dem Kollaps der KP entwickelten sich in den 80er Jahren zahlreichen NGOs, in denen eine Reihe von Ex-KommunistInnen aktiv wurden. Gegenwärtig sind die NGOs ein integraler Bestandteil der thailändischen Zivilgesellschaft, ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung wird indes unterschiedlich eingeschätzt. Während Bell ihnen eine bedeutende Rolle im Kampf um Veränderungen zumisst, betont Konakrat Lertchoosakul, dass sie "keine neue politische Kultur in Thailand geschaffen haben" (243), sondern zahlreiche Kompromisse mit dem Staat und den staatstragenden konservativen Parteien eingingen. Hg. stellt die undemokratische innere Verfasstheit vieler NGOs und ihre neoliberalen Politikansätze heraus. Für ihn haben sich die kämpferischen Potenzen der thailändischen Arbeiterbewegung noch längst nicht erschöpft, in ihr liege die Chance einer "neuen nicht-stalinistischen Linken" (294, 312).
Autor: Gunter Willing

Quelle: Das Argument, 46. Jahrgang, 2004, S. 608-611