Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt am Main 2008. 335 S.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel - Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin, Heidelberg 2008. 290 S.

Spätestens mit dem vierten Statusbericht des von der UN eingesetzten Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2007 muss ein anthropogen bedingter globaler Klimawandel als gesicherte Tatsache gelten, auch wenn über die möglichen, regional differenzierten Auswirkungen noch keine endgültige Klarheit besteht. Unstrittig ist jedoch, dass sich diese Auswirkungen keineswegs auf naturräumliche Veränderungen beschränken, sondern gravierende Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik haben werden. Zunehmend gerät der Klimawandel dabei auch als globales Sicherheitsrisiko in den Blick, wie die beiden hier anzuzeigenden Studien belegen. Gemeinsam ist ihnen die Prämisse, dass mit "klimainduzierten Sicherheitsrisiken" selbst dann zu rechnen ist, wenn die aktuellen Klimaschutzbemühungen erfolgreich sein sollten. Ob es gelingt, die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur (gemessen am vorindustriellen Niveau) bis zum Ende des Jahrhunderts auf 2º C zu begrenzen, muss aber schon heute als höchst fraglich angesehen werden. Dann aber droht nach Einschätzung des IPCC die Gefahr, dass die zu erwartenden Folgen nicht mehr beherrschbar sind.

Freilich steht die Übersetzung des Klimawandels in regional differenzierte Konfliktkonstellationen und gesellschaftliche Krisen noch ganz am Anfang. Deswegen haben prognostische Aussagen notwendig ein stark spekulatives Moment. In dem Buch des Essener Kulturwissenschaftlers und Sozialpsychologen Harald Welzer zu drohenden "Klimakriegen" nimmt die narrative Verdichtung drohender klimainduzierter Gewaltkonflikte und Bürgerkriege sowie der wachsenden Gefahren durch Flüchtlingsströme, zunehmende Ungerechtigkeit und Terrorismus teilweise schon apokalyptische Züge an. Dies drückt sich auch in dem reißerischen Titel aus, der sich begrifflich allerdings als wenig hilfreich erweist, wie Welzers Ausführungen selbst deutlich machen: Gewaltkonflikte sind nie monokausal auf eine Ursache rückführbar, der Klimawandel wird sich zudem nicht unmittelbar ursächlich, sondern eher als Katalysator bereits vorhandener Konfliktkonstellationen auswirken. Zwischen einer veränderten physischen Umwelt (insbesondere einer Verknappung von Überlebensressourcen) und Konflikten bestehen zwar enge, aber keine deterministischen Zusammenhänge. Vor allem aber: Verhalten und Handeln werden nicht von objektiven Gegebenheiten bestimmt, sondern vielmehr davon, wie solche Gegebenheiten wahrgenommen werden. Und diese Wahrnehmungen sind wiederum von dem jeweiligen gesellschaftlich vermittelten Kontext abhängig. Mit diesen Thesen bewegt sich der Autor, der bisher mit Studien zum Holocaust und zur Erinnerungstheorie hervorgetreten ist, auf dem sicheren Terrain eigener Forschung, hier liegt die Stärke des Buches und in diesen Passagen ist der Autor auch mit seinem Plädoyer überzeugend, die Auseinandersetzung mit den sozioökonomischen und kulturellen Folgen des Klimawandels nicht den Naturwissenschaften zu überlassen, die dafür nicht qualifiziert sind. Dies betrifft etwa die Rekonstruktion von Wahrnehmungskontexten (unter Rückgriff auf Goffmanns Konzept der Rahmenanalyse) oder das Problem sogenannter shifting baselines. Damit wird das Phänomen beschrieben, dass sich mit veränderten Wirklichkeiten auch die Wirklichkeitsdeutungen verschieben. Gravierende Umweltveränderungen werden so zum Beispiel nicht, nicht adäquat oder nicht rechtzeitig wahrgenommen, weil sie zeitlich jenseits des Wahrnehmungshorizontes relevanter Akteure liegen. Damit lässt sich besser verstehen, warum historische Gesellschaften wie die der Osterinsel (Welzer greift hier auf Jared Diamonds Beschreibung zurück) "apokalypse blind" auf einen klimabedingten Kollaps zusteuern. Aktuell wird daran aber auch die Schwierigkeit deutlich, sich adäquat zu Ereignissen zu verhalten, die erst in der Zukunft eintreten werden. Zweifellos wichtig, aber nicht gerade neu sind die Hinweise, Massengewalt, "ethnische Säuberungen" und Völkermord nicht als Betriebsunfälle, sondern als die "dunkle Seite der Modernisierung" zu begreifen, die als Handlungsoptionen jederzeit verfügbar sind, wenn sie von gesellschaftlichen Gruppen als "vernünftige" Lösungen für "gefühlte Probleme und vermeintliche Ursachen" angesehen werden. Dass solche Reaktionen bei klimabedingten Konfliktverschärfungen zu befürchten sind, ist ohne Frage realistisch, wie aktuell der Darfurkonflikt zeigt, auf den Welzer Bezug nimmt. Ansonsten werden schon heute sichtbare Konfliktkonstellationen wie asymmetrische Dauerkriege und die Etablierung von Gewaltmärkten, grenzüberschreitender Terrorismus und umweltbedingte Migrationsströme, von denen besonders Europa betroffen sein wird, in die Zukunft verlängert, ohne dass dem andernorts dazu bereits Gesagten wesentlich Neues hinzugefügt würde (vgl. etwa die Debatte zu den "Neuen Kriegen"). Welzers Ausblick bleibt, in aufrüttelnd-aufklärerischer Absicht, düster, an die von ihm alternativ ins Spiel gebrachte "gute Gesellschaft" glaubt er offensichtlich selbst nicht recht.
Demgegenüber ist die Studie des WBGU vor dem Hintergrund eines erweiterten Sicherheitsbegriffs wesentlich stärker um eine nüchterne Bestandsaufnahme bemüht, welche Risiken mit dem Klimawandel verbunden sind und wie politisch darauf reagiert werden könnte. Die Politikempfehlungen des WBGU, unter anderem zur Gestaltung einer multipolaren Weltordnung, zur Begrenzung des Klimawandels und zur Anpassung an die unvermeidlichen Folgen, zielen wesentlich darauf ab, die "2º C-Leitplanke" doch noch einhalten zu können. Sollte dies aber nicht gelingen, drohen nach Einschätzung des WBGU ab Mitte des Jahrhunderts vermehrt innerstaatliche Konflikte, die Destabilisierung des internationalen Systems sowie die Gefährdung der weltwirtschaftlichen Entwicklung - Probleme, durch die die Global-Governance-Strukturen überfordert würden (14). Identifiziert werden vier besonders gravierende klimabedingte Konfliktkonstellationen: Degradation von Süßwasserressourcen, Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, Zunahme von Flut- und Sturmkatastrophen sowie das Anschwellen unweltbedingter Migrationsströme. Dies wird in erster Linie - darin stimmen die Autoren der WBGUStudie und Welzer überein - Entwicklungsländer mit fragiler Staatlichkeit und schwacher Anpassungs- und Problemlösungskapazität betreffen. Grund zur Gelassenheit in den reichen Länder ist dies allerdings nicht: Die klimainduzierten Flüchtlingsströme werden nicht an ihren Grenzen haltmachen.
Während in der WBGU-Studie die Zuversicht überwiegt, die klimabedingten Herausforderungen durch vorausschauende Politik bewältigen zu können, dominiert bei Welzer der Kassandraton. Verdienstvoll sind beide Publikationen auf ihre Weise darin, auf eine ernste globalgesellschaftliche Problematik aufmerksam zu machen, deren Ursachen größtenteils in der Vergangenheit liegen und deren Konsequenzen in vollem Umfang erst die nächsten Generationen spüren werden - ein Umstand, der verantwortungsvolles politisches Handeln äußerst schwierig macht. Beide Publikationen unterstreichen nachdrücklich die Notwendigkeit, den Klimadiskurs nicht den Naturwissenschaften allein zu überlassen, sie demonstrieren zugleich das Potenzial der Gesellschaftsund Kulturwissenschaften, Substanzielles zum Thema einzubringen. Gerade angesichts der regional differenzierten Auswirkungen des Klimawandels ist hier auch die Geographie explizit angesprochen. Welzers Hinweis auf die "verblüffende Körper- und Raumlosigkeit sozial- und kulturwissenschaftlicher Theorien" (44) sollte in der Humangeographie als Fingerzeig verstanden werden, hinter Diskursen, Konstrukten und Systemen die Materialität menschlicher Existenzsicherung nicht aus dem Auge zu verlieren. Dazu hat nicht zuletzt die Wirtschaftsgeographie einiges beizutragen.
Autor: Helmut Schneider

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 52 (2008) Heft 4, S. 248-249