Helmut Röscheisen: Der Deutsche Naturschutzring. Geschichte, Interessenvielfalt, Organisationsstruktur und Perspektiven. München 2007. 311 S.

NGOs gehören zu den großen Gewinnern der vergangenen ein bis zwei Jahrzehnte auf dem globalen "Markt" um Macht und um politischen Einfluss. Gute Gründe also, auch die Arbeit der Natur- und Umweltschutzverbände wissenschaftlich zu untersuchen. Helmut Röscheisen hat dies auf einer nationalen Ebene getan. Er hat den Deutschen Naturschutzring als die Dachorganisation der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände in einem weitgehend historischen Durchgang sehr gründlich untersucht. Was dabei herauskommt, kann sich mit der Vielfalt von Informationen, die zum Teil nur dem Insider bekannt gewesen sein dürften, durchaus sehen lassen.

Dieses Insider-Wissen ist auch nicht ganz unverständlich, wenn man bedenkt, dass es sich beim Autor um den langjährigen und im Moment wohl auch noch amtierenden Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings handelt.
Diese größte Stärke des Werkes ist zugleich auch seine größte Schwäche. In dieser Eigenschaft kann und darf der Autor eigentlich niemand vor den Kopf stoßen. Dabei ist es keineswegs so, dass Röscheisen auf eine kritische Sichtweise grundsätzlich verzichten würde. An einigen Stellen, insbesondere wo es um die großen Teilverbände BUND und NABU geht, geht der Autor schon bis an die harte Grenze des ihm beruflich noch gerade eben Zumutbaren. Es wird z.B. deutlich, dass beide Teilverbände in der Dachorganisation vorrangig einen Dienstleister zugunsten der Teilverbände, aber gerade nicht eine eigenständige Naturschutz- oder Umweltschutzorganisation sehen wollen. Das bedeutet letzten Endes ja nichts anderes, als dass die konkreten (Teil-)Verbandsinteressen höher gesetzt werden als die nach außen getragenen Natur- und Umweltschutzziele. Das ist zwar nicht überraschend, widerspricht aber doch der Selbstdarstellung der betroffenen Verbände. Deutlich wird im vorliegenden Werk nur nicht, wie der Autor die Kritik meint, die er äußert: möglicherweise noch viel drastischer, da er sich schließlich zurückhalten muss.
Der sozialwissenschaftlich-konzeptionelle Zugriff des Autors ist ein verbandstheoretischer, wobei er sich stark auf R. Mayntz stützt. Konkrete Inhalte scheinen für den Autor nicht besonders wichtig, was man aus Haupt- und Untertitel der Studie so nicht herauslesen kann. Dabei würden viele inhaltliche Gesichtspunkte der Naturschutzarbeit durchaus die kritische Perspektive verdienen. So etwa, wenn der DNR vor Ausbruch des zweiten Golfkrieges vor den Umweltproblemen eines Waffenganges warnt (immerhin geht es, so ganz nebenbei, ja auch um einige (10.000?) Menschenleben). Oder wenn ein wichtiger Teilverband des DNR sich im letzten Libanonkrieg für die Rettung bedrohter Wellensittiche in einem Gebiet einsetzt, das dem Flächenbombardement ausgesetzt ist mit unzähligen Menschenopfern und (menschlichen) Flüchtlingen, die um ihr Leben rennen. Aber möglicherweise findet ja bloß der Rezensent dieses Buches an dieser Stelle seine menschlichen Grenzen. Und natürlich hat der Autor auch in erster Linie eine verbandstheoretische Arbeit vorlegen wollen.
Nicht ganz auf der "Höhe der Zeit" ist aber auf Seiten des Autors wohl doch eine ausgeprägt positivistische Sichtweise von Umweltproblemen als quasi-objektive Kriterien für gesellschaftliches Handeln. Wenn man diesem naturschädigenden Verhalten nicht Einhalt gebiete, würden die Verhältnisse immer schlimmer und legten am Schluss gar eine "Ökodiktatur" nahe. Hilfreich wäre hier, ohne reale Probleme im Umweltbereich wegdiskutieren zu wollen, doch eine gewisse Ergänzung der Darstellung von Umweltproblemen durch einen konstruktivistisch ausgerichteten Ansatz.
Nicht thematisiert wird auch der durchaus bestehende Interessengegensatz von "Tierschutz", "Naturschutz" und "Umweltschutz", die zwar über einen Überlappungsbereich von Zielen verfügen, im Detail aber auch von sehr divergierenden inhaltlichen Zielsetzungen geprägt sind. So kann ein überzeugter Naturschützer durchaus mit Appetit sein in Legebatterien erzeugtes Frühstücksei genießen oder ein Umweltschützer ("berühmtes" Beispiel von B. Uhrmeister) durchaus den Rheinfall von Schaffhausen in ein hydroelektrisches "umweltschonendes" Kraftwerk überführen. Nichts von solchen inhaltlichen Konflikten und dem Umgang damit findet sich bei Röscheisen in dem, was er als "primäre Naturschutzverbände" versteht.
Was bleibt, ist die detailintensive Darstellung aus der Innensicht eines Naturschutzfunktionärs, der sehr viel zu Kenntnis und Diskussion von Macht- und Entscheidungsfunktionen in NGOs beitragen kann. Insofern ist das Werk sehr zu begrüßen.
Autor: Klaus-Dieter Hupke

Quelle: Erdkunde, 62. Jahrgang, 2008, Heft 2, S. 176-177