Bob Jessop und Ngai-Ling Sum: Beyond the regulation approach. Putting capitalist economies in their place. Cheltenham u.a. 2006. 479 S.
Das Buch reflektiert die vor allem von Bob Jessop in den letzten 20 Jahren geleistete Auseinandersetzung mit der Regulationstheorie. Es basiert größtenteils auf bereits geschriebenen Artikeln, ist aber mehr als ein Sammelband: Es ist zum einen der - meines Erachtens gelungene - Versuch einer systematischen und umfassenden Aufarbeitung (der Kritik an) der Regulationstheorie. Es werden insgesamt vier Generationen der Regulationstheorie identifiziert, wobei jede neue "Generation" bestimmte Theoreme weiterentwickelt. Zum anderen bleiben Jessop und Sum nicht bei dieser Kritik stehen, sondern entwickeln ihr eigenes, post-disziplinäres Forschungsprogramm.
Der erste Teil des Buches stellt die grundlegenden Prämissen der regulationstheoretischen Arbeiten dar. Es wird nach dem heuristischen Wert der Begriffe Fordismus/Postfordisumus gefragt, auf die Schwachpunkte der ersten und zweiten Generation und insbesondere auf staatstheoretische Lücken eingegangen. Im zweiten Teil werden Anwendungen der Regulationstheorie (Vergleich der fordistischen Regulationsweisen Großbritanniens/ West-Deutschlands; Industrialisierung Ost-Asiens) und das Erklärungspotential von historischen Veränderungen dargestellt und erweitert. Im dritten Teil entwickeln Jessop und Sum die Grundlagen der eigenen Forschungsarbeiten, die sie als dritte und vierte Generation des Regulationsansatzes begreifen. Es wird versucht, die Regulationstheorie mit Governance-Ansätzen zu verzahnen und den überwiegend nationalen Fokus aufzubrechen, indem die Theoretisierung der internationalen und globalen Ebene integriert wird. Im vierten und letzten Teil werden die bislang vorgestellten theoretischen Ansätze verzahnt und im eigenen Forschungsprogramm der Cultural Political Economy verdichtet.
Beyond the Regulation Approach beinhaltet also eine produktive Auseinandersetzung mit dem analytischen Potenzial und den theoretischen Grundlagen der Regulationstheorie. Hierbei werden die regulationstheoretischen Ansätze systematisch auf ihre Verkürzungen und (impliziten) Essentialismen "abgeklopft" und gleichzeitig die Errungenschaften herausgearbeitet. Diese sind vor allem darin zu sehen, dass dem strukturellen Marxismus Althussers (u.a. der in letzter Instanz determinierenden Ökonomie) ein theoretisches Modell entgegen gesetzt wurde, das die Ökonomie auf ihren Platz verweist, indem betont wird, dass ökonomische Verhältnisse immer historisch spezifisch und gesellschaftlich eingebettet sind. Gleichzeitig wurde ein analytisches Instrumentarium zur Untersuchung der jeweils spezifischen raum-zeitlichen Formen kapitalistischer Vergesellschaftung entwickelt.
Die Kritik der Regulationstheorie ist zugleich die Grundlage für die Entwicklung des eigenen Forschungsprogramms der Cultural Political Economy. Dieses Forschungsprogramm beruht auf einer Synthese regulationstheoretischer, staatstheoretischer und diskursanalytischer Ansätze. Allerdings handelt es sich nicht um ein völlig neues Programm, denn sowohl Jessop wie Sum arbeiten bereits seit vielen Jahren in diese Richtung. Vielmehr handelt es sich um ein Hervorheben dieser Aktivitäten, indem jetzt der Name (Cultural Political Economy) für das Programm gefunden wurde. Gleichzeitig ist der Name aber auch Programm: Die Betonung liegt auf einer prä- und postdisziplinären, sowie einer anti-positivistischen und anti-empirizistischen Perspektive, die sie dem kritischen Realismus zurechnen. Während auf regulationstheoretische Ansätze zurückgegriffen wird, um die Bedeutung kapitalistischer Regulierungen und Institutionalisierungen herauszuarbeiten, basiert die Staatstheorie auf der Annahme der zentralen Funktion des Staates (bzw. konkreter staatlicher Institutionen) als Kohäsionselement einer durch diverse Widersprüche gekennzeichneten (patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen) Gesellschaft. Schließlich wird auf diskursanalytische Ansätze in zweifacher Hinsicht rekurriert. Zum einen wird die Bedeutung von semantischen Strategien hervorgehoben und ein Analyseraster für eine kritische Diskursanalyse angedeutet. Zum anderen wirkt die Diskurstheorie als Korrektiv tendenziell funktionalistischer "Überhänge", die sich bisweilen in regulations- und staatstheoretische Arbeiten einschleichen. Jessop und Sum betonen den relationalen Charakter von Staat und Ökonomie, indem sie Staat und Kapital als soziale Beziehung betrachten. Gleichzeitig ist die Trennung von Staat und Ökonomie nicht einfach gegeben. Vielmehr wird diese Grenze beständig konstruiert. Auch sind Staat und Ökonomie nicht dem Subjekt äußerliche Strukturen. So reproduzieren sich kapitalistische Verhältnisse gerade nicht "hinter dem Rücken" der Subjekte, sondern müssen immer wieder Tag für Tag durch das Handeln der Subjekte hergestellt werden. Das Subjekt ist also immer Teil dieser Strukturen. Zugleich wirken diese Strukturen strategisch selektiv (und damit einschränkend) auf den Handlungsspielraum der Akteure, sind die staatlichen Institutionen nicht allen sozio-politischen Kräften gleichermaßen zugänglich.
Das Buch von Jessop und Sum ist also mehr als eine Aneinanderreihung bereits publizierter Artikel. Es handelt sich um die Entwicklung eines ontologischen, erkenntnistheoretischen und methodologischen Forschungsprogramms. Hierbei ist Beyond the Regulation Approach vor allem eine Auseinandersetzung mit den eigenen theoretischen Ursprüngen. Es ist der erster Teil einer Publikationsserie, die im Herbst von Jessop mit dem bei Polity Press erscheinenden Buch "State Power. A Strategic Relational Approach" fortgeführt und im nächsten Jahr mit dem Buch von Sum und Jessop "The Economic Institutions of Culture. Towards a Cultural Political Economy" (Edward Elgar) (vorerst) abgerundet wird.
Joscha Wullweber