Akademie für Raumforschung und Landesplanung: Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung. Hannover 2011. 877 S.
36 zumeist renommierte Autoren und ein hochkarätiger Redaktionsausschuss von sieben Praktikern und Wissenschaftlern haben es geschafft, ein umfassendes, fast 900 Seiten starkes Werk zur Raumordnung und Raumentwicklung vorzulegen. Klaus Borchard formuliert im Vorwort den eigenen Anspruch der Herausgeber, das "aktuelle Basiswissen der Disziplin zusammenfassend und systematisch aufgearbeitet" dazustellen. Damit werden die drei Vorgängerbände, die Grundrisse der Raumordnung aus dem Jahr 1982, der Stadtplanung aus dem Jahr 1983 und der Landes- und Regionalplanung aus dem Jahr 1999, aktualisiert und abgelöst.
Neben dem Handwörterbuch der Raumordnung ist so ein weiteres Werk zu diesem Themenfeld erschienen, das die Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover herausgibt. Das Hauptaugenmerk wird bei diesem neuen Sammelband eindeutig auf die überörtlichen Stufen der Raumplanung gerichtet, wobei aber auch die Bezüge zur kommunalen Bauleitplanung und zu ausgewählten Fachplanungen dargestellt werden.
Bemerkenswert ist der Auftakt des Sammelbandes. An den aktuellen Entwicklungen des Frankfurter Flughafens verdeutlicht Jürgen Schultheis, ein Journalist der Frankfurter Rundschau, die augenblickliche Bedeutung der Raumordnungspolitik. Zehn bis zwölf Milliarden Euro werden hier in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren in einen neuen urbanen Knoten investiert, der vielfältige Wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, aber auch die stadtregionale Entwicklung in der Rhein-Main-Agglomeration haben wird. Die neuen Startbahnen, Terminals sowie Büro- und Gewerbekomplexe müssen planerisch vorgedacht und abgesichert werden. Dabei hat die Raumordnung eine wichtige Schlüsselrolle. Besser kann man nach meiner Einschätzung die auch aktuelle Bedeutung dieses Politikfeldes nicht begründen.
Der Leser hätte sich im Verlauf des Buches noch weitere derart prägnant dargestellte Beispiele gewünscht. Die Konflikte um die Factory Outlet Center an den Autobahnabfahrten im eher ländlich geprägten Raum oder die Debatten um das Steinkohlekraftwerk im nordrhein-westfälischen Datteln wären hier ebenso Anknüpfungspunkte wie die Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland oder zwischen aufstrebenden Dienstleistungsstädten und schrumpfenden Städten mit alten industriellen Strukturen. Solche Beispiele würden ausreichend Möglichkeiten bieten, die manchmal etwas spröde Materie der Raumordnungspolitik einmal etwas anders darzustellen und sie dadurch noch anregender zu gestalten, um so für dieses Politikfeld ein breiteres Interesse zu wecken.
Stattdessen haben sich die Herausgeber für einen eher klassischen Aufbau entschieden, gegen den natürlich prinzipiell auch nichts einzuwenden ist. Auf rund 70 Seiten ordnet Heinrich Mäding die Raumordnungspolitik zunächst in allgemeine gesellschaftliche Veränderungen ein bzw. stellt Dietrich Fürst die veränderten Steuerungsmöglichkeiten des Staates in der jüngeren Zeit vor. Anschließend geht es auf mehr als 100 Seiten in einer sehr kenntnisreichen Abhandlung um die Geschichte der überörtlichen Planung in Deutschland, die Hans H. Blotevogel verfasst hat. Allein dieser Teil würde bereits den Anspruch eines eigenen Lehrbuchs erfüllen. Ergänzt wird der zweite Abschnitt um die Geschichte der räumlichen Planung in der DDR, die Bruno Schelhaas zu dem Sammelband beiträgt.
Im dritten Abschnitt systematisieren Hans-Jörg Domhardt, Lothar Benzel, Thomas Kiwitt, Matthias Proske, Christoph Scheck und Theophil Weick auf weiteren 70 Seiten die verschiedenen Konzepte der Raumordnung. Im vierten Abschnitt hat der Sammelband dann stellenweise den Charakter eines wenig reflektierten Handbuchs. So lesen sich einige Abschnitte der Autoren Wolfgang Roggendorf, Bernd Scholl, Frank Scholles, Walter Schönwandt und Rolf Signer wie eine Bedienungsanleitung für ein Gesellschaftsspiel: "Vergewissere dich bei einem gegebenen Problem, worum es eigentlich geht" (S. 364) oder: "Durchdenke Aufbau und Ablauf der gewählten Organisation und überlege eine adäquate Disposition der erforderlichen Mittel dafür" (S. 365). Hier sind Zweifel angebracht, ob solche Rezepte wirklich irgendjemanden helfen können, Raumnutzungskonflikte zu lösen.
Zu einer umfassenden Darstellung der Raumordnung gehört schließlich der rechtliche und institutionelle Rahmen, den Wolfgang Durner, Stefan Greiving und Frank Reitzig im fünften Abschnitt präsentieren. Wie dieser Rahmen durch Programme und Pläne gefüllt wird und welche Verfahren zur Aufstellung dieser Programme und Pläne genutzt werden, zeigen im sechsten Abschnitt Rainer Danielzyk, Konrad Goppel, Jörg Knieling, Heinz Konze und Petra Ilona Schmidt. Im siebten Abschnitt geht es um die Instrumente der Verwirklichung und der Sicherung der Raumordnung (Ulrich Höhnberg, Christian Jacoby), im achten Abschnitt dann um die Umsetzung der Raumplanung. Dabei wird im Beitrag von Dirk Vallee der besondere Stellenwert der raumbedeutsamen Fachplanung deutlich, die bis hierher nicht ausdrücklich thematisiert wurde. Das Verhältnis zur Bauleitplanung erläutern Gerhard Steinebach und Gerd Schmidt-Eichstaedt. Der Zusammenhang zwischen Raumordnung und anderen Politikfeldern wird dann auch im neunten Abschnitt noch einmal aufgegriffen. Die Bezüge zur Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Verkehrspolitik werden von Hans-Friedrich Eckey, Horst Zimmermann, Christina von Haaren und Beate Jessel sowie von Christian Langhagen-Rohrbach herausgearbeitet. Im letzten Abschnitt wird schließlich die Raumordnungspolitik in anderen ausgewählten europäischen Staaten von Stefanie Dühr vorgestellt sowie von Andreas P. Cornett in die verschiedenen Formen der grenzüberschreitenden Planung eingeführt.
Mit diesen Inhalten hat die Akademie für Raumforschung und Landesplanung einen umfassenden Sammelband zur Raumordnungspolitik vorgelegt. Kleine Wiederholungen bleiben bei einem solchen Konzept nicht aus. Sie schaden aber nach meiner Einschätzung nicht, weil kaum ein Leser die fast 900 Seiten vor vorne bis hinten lesen wird. Auch deshalb sind die Kurzfassungen und das Sachregister am Ende des Werkes hilfreich, um den Einstieg in dieses "Schwergewicht" der Raumordnungspolitik zu erleichtern. Die systematische Darstellung hilft dem Leser sicherlich, sich das Basiswissen der Raumordnung zu erschließen - und damit den Anspruch der Herausgeber einzulösen. Ob es aber auch Begeisterung für dieses Politikfeld auslösen kann, darf bezweifelt werden.
Claus-C. Wiegandt
Quelle: Erdkunde, 65. Jahrgang, 2011, Heft 4, S. 420-421
Vgl. auch die Rezension von Martin Lendi:
http://www.raumnachrichten.de/rezensionen/1515-grundriss-der-raumordnung-und-raumentwicklung
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