Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung. Hannover 2011. 877 S.

Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Wissenstransfer aus ihrer grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung in den raumbezogenen Wissenschaften und in die praktische Raumplanung, Raumpolitik und Raumentwicklung" (V) als ihre zentrale Aufgabe zu betrachten. Dazu hat sie sich zu einem personellen Netzwerk von Wissenschaftlern und Planern "aus allen in der raumwissenschaftlichen Forschung und Raumentwicklung relevanten Fachbereichen des In- und Auslandes" (V) entwickelt. In Rückgriff auf dieses Netzwerk ist der "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" als ein "Grundlagenwerk" (V) entstanden, in dem neben wissenschaftlichen Grundlagen von raumbezogener Forschung und Planung kritische Gedanken dazu ebenso behandelt werden sollen wie aufgearbeitete Hintergrundinformationen, das Wechselverhältnis von Planung und Politik wie auch der Bezug unterschiedlicher raumbedeutsamer Planungen untereinander und die Grenzen räumlicher Planbarkeit.

Die aufgezeigte Zielgruppe umfasst Wissenschaftler, Lehrende und Studierende "des vielschichtigen Raumwissenschaftlichen Bereichs" (V) wie auch Praktiker und Laien. Damit ist der Anspruch der ARL an den (mit Vorwort und Verzeichnissen) rund 900 Seiten umfassenden "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" umrissen. Ebenfalls umrissen ist damit eine wesentliche Perspektive der Rezension: der Anspruch, der von den Autoren/Herausgebern für das eigene Werk formuliert ist (vgl. dazu Bon? 2003).


    Der "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" gliedert sich in zehn Kapitel (und ein zusätzliches Kapitel "0", das sich auf 10 Seiten mit der Raumplanung in der Gesellschaft befasst). In Kapitel 1 werden unter der ‹berschrift "Raumplanung unter veränderten Verhältnissen" wesentliche (soziale wie ökologische) Herausforderungen in ihren Konsequenzen für die räumliche Planung behandelt. Das darauf folgende Kapitel befasst sich mit der "Geschichte der Raumplanung" von der Antike bis zur Gegenwart und vergleicht dabei auch die Entwicklungen in BRD und DDR. Kapitel 3 umfasst eine Betrachtung der "Konzepte und Inhalte der Raumordnung", die eine Darstellung wesentlicher Konzepte und Leitbilder der Raumentwicklung wie auch der als zentral charakterisierten Planelemente umfasst. Auf den folgenden 100 Seiten werden die "Methoden der Raumplanung" behandelt. Der Fokus liegt hier neben der Diskussion um den Einsatz von Methoden auf dem Einsatz von IuK-Technologien. In Kapitel 5 werden der rechtliche wie auch institutionelle Rahmen der Raumplanung behandelt: Verfassungsrechtliche Grundlagen, Planungsarten und -ebenen in Deutschland und europäische Raumordnung. Das anschlie?ende Kapitel behandelt "Programme, Pläne und Verfahren der Raumplanung", indem formelle und informelle Planungsverfahren und -ansätze beschrieben und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Kapitel 7 "Verwirklichung und Sicherung der Raumordnung" befasst sich mit wesentlichen Verfahren zur Sicherstellung der Planungsziele (wie dem Raumordnungsverfahren, der Landesplanerischen Stellungnahme, aber auch Monitoring und Evaluierung von Planung), während Kapitel 8 die "Umsetzung der Raumplanung" insbesondere vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens unterschiedlicher Planungen und Planungsebenen thematisiert. Das folgende Kapitel stellt "ausgewählte Spannungsfelder der Raumentwicklung" dar, worunter die Einflussfaktoren von Wirtschaft, Finanzsystem, Umwelt und Verkehr verstanden werden. Das anschlie?ende Kapitel 10 befasst sich mit der "Raumplanung in und mit europäischen Nachbarländern".


    Damit liefert der "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" einen Überblick darüber, was heute von führenden mit räumlicher Planung befassten Wissenschaftlern und Praktikern als für das Themenfeld relevant verstanden wird. Dieser Überblick lässt sich als stark auf konkrete Fragen konzentriert beschreiben. Gerade hier hat der "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" auch seine Stärken: In bislang wenigen Publikationen wurden derart knapp und verständlich Planungshierarchien, Planungsverfahren und daraus resultierende Herausforderungen innerhalb der Planung dargestellt. Viele erläuternde und übersichtlich gestaltete Schaubilder erleichtern auch Studierenden und Laien das Verständnis komplexer Zusammenhänge, zahlreiche Beispiele (wie zu den Transeuropäischen Netzen) erlauben Einblicke in konkrete Aufgaben räumlicher Planung. Das Kapitel über die Geschichte der Raumordnung erleichtert auch dem nur rudimentär mit Raumordnung befassten Leser einen Einblick in die Zusammenhänge sich wandelnder gesellschaftlicher und insbesondere politischer Bezüge zur räumlichen Planung.


    Die zentrale Kritik an dem Grundlagenwerk liegt in der mangelnden Reflexion seiner Grundlagen: diese werden nicht oder rudimentär betrachtet. Eine Anbindung an die nun seit mehr als zwei Dekaden geführte Diskussion um Raumverständnisse fehlt, es wird implizit eine Unumstößlichkeit des Containerraumkonzeptes vorausgesetzt. Ebenso unhinterfragt wird "Natur" als das "andere zu Kultur" (vgl. Gro? 2006), als ob auch in den Raumwissenschaften nie eine Diskussion über Hybridität von Kultur und Natur geführt worden wäre (z. B. bei Zierhofer 2003). Auch wenn es zur spezifischen déformation professionelle von mit Raumordnung Befassten gehört, eine moralische Aufladung von Ordnung als "gut" und Unordnung als "schlecht" vorzunehmen, würde ein kritisches Hinterfragen, welche Ordnung, die auf welchen sozialen, ethischen und ästhetischen Grundlagen basiere, denn gemeint sei, durchaus zum Verständnis der Grundüberzeugungen von Raumordnung beitragen. Schlie?lich entscheiden "die Planer und Entwerfer einer neuen Siedlung [Ö] über die Lebensbedingungen, über Freiräume und Zwänge vieler Menschen. Sie erbauen Welten für andere" (Popitz 1992, 30). Und diese "anderen" haben durchaus einen Anspruch darauf, welche Grundüberzeugungen (jenseits gesetzlicher Grundlagen) zum Selbstverständnis von mit Raumplanung Befassten zählen. Diese Offenlegung der eigenen Grundüberzeugung erscheint durchaus nötig, schließlich hat nicht zuletzt Lucius Burckhardt (1982, 106) den Verdacht, Planer seien darauf ausgerichtet, "die Freiheitsgrade, da wo sie vorhanden sind, zu kaschieren und auf jene Stellen hinzuweisen, wo Entscheidungsfreiheit fehlt, und dieses Fehlen als ´Sachzwang' zu bejammern". Die Eigendynamik eines sicherlich weit verbreiteten Selbstverständnisses von Planern wird auf Seite 18 deutlich, wenn - in Rückgriff auf die Luhmannsche Systemtheorie - festgestellt wird: "Ihre [die Raumplanung als Verwaltung; Anm. O.K.] professionelle, am ausbalancierten Gemeinwohl und an der langen Frist orientierte Rationalität wird also nicht nur durch widerständige Partialinteressen betroffener Unternehmen oder anderer Verwaltungen eingeschränkt, sondern auch durch zentrale Eigenschaften des politischen Systems und Prozesses: durch Koalitionsabsprachen, fragwürdige politische Paketbildungen, Wiederwahlinteressen lokal orientierter einzelner Politiker [Ö]". Auch wenn nach diesen Worten ein Zitat folgt, das zur Anerkennung der Führungsfunktion der Politik aufruft, bleibt - vorsichtig gesprochen - ein schales Gefühl hinsichtlich des geäußerten Demokratieverständnisses zurück. In einer Repräsentativdemokratie vertritt der gewählte Politiker die Interessen des Souveräns (des Volkes) und nicht ein "am ausbalancierten Gemeinwohl und an der langen Frist orientierte Rationalität" ausgerichteter Planer. Unabhängig von dem, was denn unter `ausbalanciertem Gemeinwohl' zu verstehen sei, ist auch der Planer von einer spezifischen déformation professionelle geprägt, die er im Fachstudium, der Berufspraxis und dem täglichen Kampf um Anerkennung verinnerlicht hat. Eine Rationalität also, die ebenso systemische Beschränkungen aufweist wie jene der Politik und sich insofern (jenseits demokratietheoretischer Überlegungen) nicht über andere Rationalitäten erheben sollte.


    Insgesamt ist dem "Grundriss der Raumordnung" eine gewisse Heterogenität auf sprachlicher Ebene wie auch auf inhaltlichem Niveau eigen. Die Heterogenität äußert sich auch darin, dass in Kapitel 0 Nachhaltigkeit als zentraler Bezugspunkt räumlicher Planung definiert wird, ohne dass das damit verbundene Konzept genauer erörtert würde, mit der Konsequenz, dass der Begriff in den folgenden Kapiteln (wenn überhaupt) eher diffus im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit Verwendung findet.


    Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der "Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung" ist jenen uneingeschränkt zu empfehlen, die sich über die praktischen Fragestellungen der Raumordnung und ihre historische Entwicklung kompetent informieren möchten. Jene, die über praktische Fragestellungen hinaus Anregungen zur diskursiven Verhandlung der Bedeutung der Raumordnung in der Gesellschaft suchen, werden wenig fündig. Um dem selbst formulierten Anspruch eines "Grundlagenwerkes" gerecht zu werden, sollten in einer nachfolgenden Ausgabe einerseits die theoretischen und sozialen Grundlagen von Planung (umfassendere) Beachtung finden, andererseits wäre eine kritische Diskussion des eigenen Selbstverständnisses (insbesondere gegenüber der Politik) wünschenswert.
Literatur

Bonß, W. (2003): Warum ist Kritische Theorie kritisch? Anmerkungen zu alten und neuen Entwürfen. In: Demirovic, A. (Hrsg.): Modelle kritischer Gesellschaftstheorie. Traditionen und Perspektiven der Kritischen Theorie. Stuttgart: Metzler, 366-392.
Burckhardt, L. (1982): Zwischen Flickwerk und Gesamtkonzeption. In: Burckhardt, L. (Hrsg.): Wer plant die Planung? Architektur, Politik, Mensch. Kassel, 99-106. (Hg. von Fezer, J./Schmitz, M.)
Gro?, M. (2006): Natur. Bielefeld: transcript.
Popitz, H. (1992): Phänomene der Macht. Tübingen: Mohr.
Zierhofer, W. (2003): Natur - das Andere der Kultur? Konturen einer nicht-essentialistischen Geographie. In: Gebhardt, H. et al. (Hrsg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, 193-212.

Autor: Olaf Kühne

Geographische Zeitschrift, 100. Jg. 2012, Heft 2, Seite 53-55

 

 

Vgl. auch die Rezension von Martin Lendi:
http://www.raumnachrichten.de/rezensionen/1515-grundriss-der-raumordnung-und-raumentwicklung

 

Vgl. auch die Rezension von Claus-C. Wiegandt:
http://www.raumnachrichten.de/rezensionen/1744-raumordnung

 

 

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