Thomas Morlang: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11. Berlin (Schlaglichter der Kolonialgeschichte, Bd. 12) 2010. 200 S.
Als sich vor 100 Jahren auf der Karolineninsel Ponape etwa 200 Rebellen gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben, schlug die Marine den Aufstand mit vier Kriegsschiffen nieder. Sie bot in dem Konflikt neben 745 Mann Besatzung auch 200 melanesische Polizeisoldaten auf. Verf. spricht dabei von der "größten Militäraktion Deutschlands in der Südsee" (9). Die Ereignisse der antikolonialen Rebellion werden hier mikrohistorisch rekonstruiert. Als Quellenkorpus wurden hierfür vor allem die Akten des Bundesarchiv- Militärarchivs Freiburg und des Reichskolonialamts im Berliner Bundesarchiv benutzt.
Das Ponape-Kapitel in Alexander Krugs Monographie über ›Strafexpeditionen‹ Deutschlands in der Südsee (2005) würdigt Verf. als die bislang beste Beschreibung der Vorgänge (10f). Darin wird gezeigt, wie systematisch die Kolonialmacht das Niederbrennen von Dörfern, die Verwüstung der landwirtschaftlich genutzten Flächen, Gewehr- und Geschützfeuer als Mittel der Landnahme auf den Südsee-Inseln eingesetzt hat. Wenn es vereinzelt zu Gewalt gegen die Kolonialherren gekommen ist, haben sich diese in Aufstands-Paranoiker verwandelt und Vergeltung geübt.
Auf Ponape wurde die deutsche Kolonialherrschaft schließlich tatsächlich mit dem massivsten Widerstand konfrontiert, der je gegen sie in der Südsee geleistet worden war. 1899 hatte das deutsche Kaiserreich die Palau-Gruppe, die Marianen und die Karolinen, von Spanien erworben, das aus dem verlorenen Krieg gegen die USA entscheidend geschwächt hervorgegangen war. Im Reichstag verweigerten sich dem Kaufantrag nur die SPD und die Abgeordneten der linksliberalen Freisinnigen Volkspartei. Die Inseln wechselten für 16,6 Mio Mark den Besitzer und kosteten die deutschen Steuerzahler anschließend jährlich mehr als 250 000 Mark an Subventionen (41f). Um die Produktivität zu erhöhen, bemühte sich die Kolonialverwaltung, das Lehnswesen auf der Insel aufzubrechen, von dem nur einige wenige autochthone Landbesitzer profitierten (58). Sie machte die bislang tributpflichtigen Ponapesen zu Eigentümern der Lehnsgüter und verpflichtete sie im Gegenzug, einen halben Monat für eine Mark pro Tag im Wegebau zu arbeiten. Die bisherigen Lehnsherren wurden von dieser Arbeitspflicht befreit (65).
Am 17. Oktober 1910 widersetzte sich der ponapesische Arbeiter Lahdeleng den Anordnungen des mit der Aufsicht über den Wegebau betrauten deutschen Kolonialbeamten. Als Strafe wurden ihm zehn Stockhiebe verabreicht (75). Am nächsten Tag legten 80 Arbeiter unter der Führung ihres einheimischen Unteraufsehers Soumadau en Sokehs die Arbeit nieder und ermordeten nicht nur die beiden deutschen Kolonialbeamten auf der Baustelle, sondern auch den herbeigeeilten Leiter der örtlichen Kolonialverwaltung, Bezirksamtmann Boeder, und seinen Sekretär (83). Zum Schutz der Hauptstadt wurden zunächst ponapesische Hilfstruppen zusammengezogen (93f). Nachdem im Dezember Kriegsschiffe eingetroffen waren, begann die deutsche Offensive am 13. Januar mit dem Artilleriebeschuss von Stellungen der Aufständischen (97). Die Landungstruppen verfolgten eine "Strategie der ›verbrannten Erde‹" und zwangen so einen Teil der Rebellen, denen man systematisch die Ernährungsgrundlage entzogen hatte, zur Kapitulation (104ff). Zu den Verlusten auf ›deutscher Seite‹ müssen neben drei deutschen Soldaten auch vier melanesische Polizeisoldaten gerechnet werden (119). Die verbliebenen Guerilleros ergaben sich bis Mitte Februar (116f). Das deutsche Standgericht unter dem Vorsitz des neuen Bezirksamtmanns Kersting nahm sich vor, "ein Exempel zu statuieren". 15 Rebellen wurden erschossen; ein ganzes Volk wurde verbannt (134). Ein Teil der arbeitsfähigen jungen Männer wurde zunächst in eine Phosphatmine auf der Insel Angaur überstellt. Über Jap wurden die Sokehs an ihren endgültigen Verbannungsort, nach Palau deportiert (136ff). Nachdem Japan Ponape übernommen hatte, kehrten die Sokehs zwischen 1917 und 1927 zurück. Ihr Land war jedoch inzwischen von der deutschen Kolonialmacht an andere Ponapesen verkauft worden - sie waren zu Fremden im eigenen Land geworden. 1947 konnten bei einer Volkszählung noch 242 Sokehs erfasst werden (141f).
Vergleicht man diese Zahlen beispielsweise mit denen des Maji-Maji-Kriegs in Ostafrika, der unter der afrikanischen Bevölkerung unmittelbar bis zu 300 000 Menschenleben forderte, mag die Dimension des Konflikts auf Ponape unbedeutend erscheinen. Doch relativ betrachtet macht ein Rückgang der Zahl der Sokehs um fast die Hälfte im Gefolge einer kolonialen Traumatisierung das Geschehen auf der Südsee-Insel exemplarisch für eine Analyse genozidaler Praktiken. Der Kolonialmacht war es gelungen, die verschiedenen Gruppierungen auf Ponape so auseinanderzudividieren, dass sich die den Widerstand tragenden Sokehs isoliert sahen. Die Folgen hätte Verf. deutlicher auf den Begriff bringen können: Die kollektiv verhängten Sanktionen zeigen, dass die deutsche Kolonialmacht auf Ponape mit einer staatsrassistischen Biopolitik experimentiert hat, die zeitgleich in Europa geltende Rechtsgrundsätze außer Kraft gesetzt hat.
Thomas Schwarz (Berlin)
Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 632-633
weitere Rezensionen zum Thema:
Sebastian Conrad: German Colonialism. A Short History. Cambridge 2011. 233 S.
Gisela Graichen u. Horst Gründer: Deutsche Kolonien. Traum und Trauma. Berlin 2007. 440 S.
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