Dario Azzellini: Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune. Bewegungen und soziale Transformation am Beispiel Venezuelas. Hamburg 2010. 406 S.
Carlos Martinez, Michael Fox u. Jojo Farrel (Hg.): Venezuela Speaks! Voices from the Grassroots. Oakland 2010. 350 S.
Eva Haule: La revolución somos todos. Die Revolution sind wir alle. Gespräche mit BasisaktivistInnen und Fotos aus Venezuela. AG Spak. Neu-Ulm 2009. 143 S.

Azzellini konzentriert sich auf das emanzipatorische Potenzial der in Venezuela seit Jahren erprobten Partizipationsansätze. Dabei zeigt sich, dass die laut Verfassung von 1999 angestrebte »partizipative und protagonistische Demokratie« im vergangenen Jahrzehnt viel Improvisation bedeutet hat. Gerade das Ausprobieren und mitunter auch Scheitern partizipativer Ansätze sei aber als Erkenntnisgewinn zu begreifen. Den bolivarianischen Prozess beschreibt Verf. als einen »ungewöhnlichen, neuen Weg der Kämpfe und der Strategien gesellschaftlicher Transformation, der Konzepte von oben und von unten kombiniert« (19). Theoretisch nähert sich Verf. dem bolivarianischen Prozess mit dem Konzept der »Konstituierenden Macht« von Negri, das Chávez selbst gelegentlich zitiert. Ohne diese »den Menschen kollektiv innewohnende legitime schöpferische Kraft«, verkomme »das Politische zum Verwaltungsvorgang und zur despotischen Machtausübung« (136). In diesem Spannungsverhältnis bestünde die Gefahr für »populare Bewegungen« – eine Bezeichnung, die Verf. dem Begriff soziale Bewegungen vorzieht –, zum Anhängsel der »Konstituierten Macht« zu werden. Entscheidend sei, »wie der Staat die Bewegungen und die Selbstorganisation fördern, begleiten und stärken kann, ohne sie zu kooptieren oder über sie hinwegzugehen« (180f).

Rain Zimmering: Zapatismus. Ein neues Paradigma emanzipatorischer Bewegungen. Münster 2010. 300 S.

Obwohl das »Zapatistische Heer zur Nationalen Befreiung« (EZLN) im südöstlichsten Bundesstaat Mexikos die Antiglobalisierungsproteste der letzten 25 Jahre wie kaum eine andere soziale Bewegung inspirierte, hat das Interesse an ihr durch nachlassenden Neuheitswert, Ausdifferenzierungen innerhalb emanzipatorischer Bewegungen, gegenwärtige Grenzerfahrungen der Zapatisten selbst oder die Gewaltwelle im Zuge des mexikanischen »Drogenkriegs« abgenommen (11).

Dirk Vallée (Hg.): Strategische Regionalplanung. Akademie für Raumforschung und Landesplanung ARL, Forschungs- und Sitzungsbericht 237. 2012. 204 S.

Die deutsche Regionalplanung verfügt über ein breites Grundlagenwissen hinsichtlich regionaler Zusammenhänge, Entwicklungen und Herausforderungen sowie über ausgewogene fachübergreifende Handlungskonzepte. Dennoch geraten die Planenden in jüngster Zeit unter Druck. Zunehmende Deregulierung, Liberalisierung sowie fachbezogene Separierung verstärken den Rechtfertigungsdruck und rufen Begehrlichkeiten nach einer Vereinfachung des Planungssystems hervor. Dasselbe gilt in Bezug auf die Transparenz der Entscheidungsprozesse, ihre Durchsetzbarkeit sowie die Akzeptanz und Umsetzungseignung von Konzepten. Parallel hierzu wird die Regionalplanung mit neuen Herausforderungen durch das wachsende Erfordernis der Partizipation von Interessengruppen und Beteiligten konfrontiert. Die hinreichende Befriedigung dieser Bedürfnisse erfordert zusätzliche Ressourcen, die meist (noch) nicht zur Verfügung stehen.

Boris Michel: Stadt und Gouvernementalität. Münster (Einstiege 15) 2005. 154 S.

 
In der deutschsprachigen (Stadt-)Geographie erfreuen sich zur Analyse gegenwärtiger Machtverhältnisse seit einigen Jahren die an Foucault anschließenden Governmentality Studies größerer Beliebtheit. In dem Band „Stadt und Gouvernementalität“, welcher 2005 in der Reihe „Einstiege“ im Verlag „Westfälisches Dampfboot“ erschienen ist, geht Boris Michel aus einer eben solchen Perspektive der Frage nach, inwiefern sich im Postfordismus Programme urbanen Regierens entwickelt haben, die sich signifikant von der fordistisch-modernen Rationalität der umfassenden Planbarkeit und Einheitlichkeit der Großstadt unterscheiden. Exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit betrachtet er dazu Diskurse, Maßnahmenbündel und Architekturen aus dem Bereich städtischer Kriminal- und Sozialpolitiken sowie aus dem Feld des New Urbanism. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass mit Prozessen der Fragmentierung, fortschreitenden Ausgrenzung und sozialen Segregation Veränderungen in den Vorstellungen von Subjektivität und Sozialem einhergehen, welche das Bild vom autonomen Subjekt reaktivieren, eine zunehmende Raumorientierung sozialer Kontrolle hervorbringen sowie kleinräumige homogene Gemeinschaften erfinden.

Regine Buschauer, Katharine S. Willis (Hg.): Locative Media. Medialität und Räumlichkeit – Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien. Bielefeld 2013. 306 S.

Mit der zunehmenden Mediatisierung des Alltags, die in der jüngeren Vergangenheit durch Web 2.0 und die weite Verbreitung von Smartphones eine weitere Stufe erreicht hat, stellt sich immer drängender die Frage nach den sozialen und kulturellen räumlichen Implikationen dieser Entwicklungen. In den letzten Jahren hat sich dementsprechend auch die Befassung der Geographie mit diesem Thema so weit verstärkt, dass bisweilen von einem Media Turn in der Geographie in Analogie zu einem Spatial Turn der Medien – oder allgemeiner der Kultur-und Sozialwissenschaften – gesprochen wird (Döring/Thielmann 2008). Der hier rezensierte Sammelband befasst sich mit dem aus humangeographischer Perspektive besonders interessanten Thema der Locative Media. Diese digitalen Medien integrieren den jenseitig-virtuellen Cyberspace als „Bestandteil räumlicher Alltagswelten und alltäglicher Raumerfahrungen“ (Buschauer/Willis: 7), indem „vormals getrennte geographische, physische und mediale Räume“ (Buschauer/Willis: 7) miteinander verknüpft werden.

Adekeye Adebajo: The Curse of Berlin. Africa After the Cold War. London 2010. 414 S.

Der Titel umreißt das Grundmuster der Argumentation: Die Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 hat die Grundlagen für die Kolonialherrschaft in Afrika gelegt, und die Folgen dieser Herrschaft bestimmen nach wie vor wesentlich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie die Politik auf dem Kontinent. Diese weder ganz falsche, noch sonderlich originelle Grunddisposition wird in 14, meist auf früheren Veröffentlichungen des Autors beruhenden Kapiteln durchgespielt, die etwa gleichmäßig dem Streben nach Sicherheit, Hegemonie und Einheit zugeordnet sind.

Chris Dolan: Social torture. The case of Northern Uganda, 1986-2006. New York, NY 2011. 338 S.

Uganda galt in den 1990er Jahren als Hoffnungsträger auf dem afrikanischen Kontinent. Präsident Yoweri Museveni wurde jahrelang von der internationalen Staatengemeinschaft und vielen politischen BeobachterInnen als Erneuerer gelobt, der das zuvor von Diktatoren beherrschte Land in eine bessere Zukunft führe. Die Perle Afrikas, wie Winston Churchill die fruchtbare frühere britische Kolonie am Viktoriasee romantisierend genannt hatte, sollte zu neuem Glanz erblühen. Vor allem eine innovative AIDS und Wirtschaftspolitik wurden Museveni zugutegehalten. Dabei übersahen die positiven Einschätzungen, dass bereits Ende der 1980er Jahre der Norden Ugandas zum Kriegsgebiet wurde. Von Kampfhandlungen der ugandischen Armee gegen die sogenannte Lord’s Resistance Army (LRA), einer von Joseph Kony geführten christlich-fundamentalistischen Guerillaorganisation, war vor allem die Acholi-Bevölkerung betroffen. 1996 begann die ugandische Regierung mit der Anlage sogenannter Schutzdörfer, in die in den Folgejahren ein Großteil der Acholi zwangsumgesiedelt wurde. Erst etwa 2006 – mit dem weitgehenden Rückzug der LRA in den Norden der Demokratischen Republik Kongo – sollte sich die Situation entschärfen, so dass die Menschen wieder zu ihren früheren Siedlungen und Feldern zurückkehren konnten.

Andrew M. Gardner: City of Strangers. Gulf Migration and the Indian Community in Bahrain. Ithaca, NY, u. London 2010. 188 S.

Dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen von südasiatischen MigrantInnen in den Golfstaaten zumeist nicht besonders gut sind, wurde am Rande der Berichterstattung zum „Arabischen Frühling“ 2011 erwähnt. Andrew M. Gardners ethnografische Studie beleuchtet sowohl die Gastarbeitsmigration als auch die Migration von höher qualifizierten InderInnen nach Bahrain. In Bahrain leben rund 1,2 Mio. Menschen, davon sind mehr als die Hälfte keine Staatsangehörigen des Inselkönigreichs; mit rund 300.000 Personen stellen InderInnen die größte Gruppe. MigrantInnen sind in Bahrain mit einem System struktureller Gewalt konfrontiert, so Gardners Hauptthese.

Elisabeth Tuider, Hanns Wienold u Torsten Bewernitz (Hg.): Dollares und Träume. Migration, Arbeit und Geschlecht in Mexiko im 21. Jahrhundert. Münster 2009. 517 S.

Das Buch bietet einen Überblick, der sich umfassend mit dem komplexen Spannungsfeld Migration – Arbeit – Gesellschaft befasst und dabei auch die Dichotomie Entwicklung/Unterentwicklung aufgreift. Es ist Ergebnis einer 2008 vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst geförderten Studienreise von Studierenden aus Hildesheim und Münster unter der Leitung von Elisabeth Tuider und Hanns Wienold. Neben den TeilnehmerInnen sind im Band viele AutorInnen aus Mexiko vertreten. Bei dieser Vielfalt ist es unvermeidlich, dass bestimmte Themenbereiche mehrfach behandelt werden. Dabei können auch unterschiedliche und z.T. widersprüchliche Meinungen und Konzepte zu Wort kommen. Gerade so werden die LeserInnen in die Lage versetzt, sich unter Abwägung der unterschiedlichen Standpunkte selber eine Meinung zu bilden.

Emily E. Straus: Death of a Suburban Dream: race and schools in Compton, California.  University of Pennsylvania Press. 2014.

Death of a Suburban Dream explores the history of Compton from its founding in the late nineteenth century to the present, taking on three critical issues which have shaped the Los Angeles suburb: the history of race and educational equity, the relationship between schools and place, and the complicated intersection of schooling and municipal economies. An interesting historical portrait, finds Kerwin Datu.

Leo Gabriel u. Herbert Berger (Hg.): Lateinamerikas Demokratien im Umbruch. Wien 2010. 340 S.

Beide Herausgeber und Autoren verfolgen die politischen Entwicklungen in Lateinamerika seit den 1970er Jahren aus nächster Nähe. Damit konnten sie die Dynamiken beobachten, die zu den als „neue Demokratien“ oder teilweise als „Linksruck“ bezeichneten Regierungen führten. Sie zeichnen in ihrer Einleitung, die sie „die schwere Geburt der Demokratie in Lateinamerika“ (7) nennen, die wechselhafte Geschichte der lateinamerikanischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit von der Krone in Spanien und Portugal nach. Dabei legen sie, um die spätere Entwicklung genauer zu verstehen, ein besonderes Augenmerk auf die Zivilgesellschaft und den Aufstieg der „Volksorganisationen“ (organizaciones populares) einschließlich der Indigenenorganisationen.