Bernd Belina, Norbert Gestring, Wolfgang Müller und Detlev Sträter (Hrsg.): Urbane Differenzen. Disparitäten innerhalb und zwischen Städten. – Münster: Westfälisches Dampfboot 2011. – Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis 9.  – 251S. – ISBN 9783896917973. – € 25,90

Aus der Perspektive kritischer Raumforschung geht der Sammelband von Belina, Gestring, Müller und Sträter den Ursachen und Folgen von Differenzen innerhalb und zwischen Städten auf den Grund. Dabei handelt es sich um ein zentrales und anhaltend relevantes Thema der Stadtforschung. Es wird eine große Bandbreite an Beiträgen aus Geographie, Soziologie, Planungsund Regionalwissenschaften zusammengebracht, die sehr verschiedene Formen von urbanen Differenzen – zumeist aus dem deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs – beleuchten. Als gemeinsamer Nenner der Beiträge lässt sich ein Verständnis urbaner Differenzen im Kontext von Machtverhältnissen und politischer Bedingtheit identifizieren.

Renate Ruhne: Raum Macht Geschlecht – Zur Soziologie eines Wirkungsgefüges am Beispiel von (Un)Sicherheiten im öffentlichen Raum. 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden, 238 pp., ISBN-13: 978-3-531-18037-3, € 29.95, 2011.

Renate Ruhne: Raum Macht Gesellschaft

Nach dem Fall des sogenannten Eisernen Vorhangs zu Beginn der 1990er Jahre hatten sich in westeuropäischen Staaten nicht nur die Migrationsströme aus den osteuropäischen Ländern erhöht – auch einige Kriminalitätsziffern waren in die Höhe geschnellt. Die hohe Durchmischung der Städte im Westen Europas mit „Fremden“ gab den Impuls, das Thema Sicherheit ganz oben auf die Agenda zu setzen. Den Höhepunkt erreichte die Fokussierung auf die Sicherheitsthematik im Jahr 2001 nach dem Terroranschlag in New York am 11. September. Zu dieser Zeit – von 1998 bis 2003 – hatte sich Renate Ruhne mit dem Sicherheitsempfinden von Frauen und Männern im öffentlichen Raum auseinandergesetzt; die Tiefenschärfe der veröffentlichten Ergebnisse weist weit über die damalige, zeitspezifische Sicherheitsdebatte hinaus. Es ist folgerichtig, dass die Publikation von 2003 im Jahr 2011 in einer zweiten Auflage erschienen ist; denn sie leistet einerseits einen grundsätzlichen Erklärungsbeitrag zur (Un-)Sicherheitswahrnehmung im öffentlichen Raum und andererseits präsentiert sie ein neues forschungsmethodologisches Instrumentarium zur Analyse räumlich-geschlechtlicher Fragestellungen.

Gilbert Rist: The History of Development: From Western Origins to Global Faith.  London, New York 2014. 320 S.

In the fourth edition of this influential development text, Gilbert Rist aims to trace the concept of development from its origins in the Western view of history, through the early stages of the world system, the rise of US hegemony, the supposed triumph of the third world, through to new concerns about the environment and globalization. Kate Donald disagrees with some of the author’s key arguments though finds that much of his analysis is deeply relevant and demands serious thought.

Dario Azzellini: Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune. Bewegungen und soziale Transformation am Beispiel Venezuelas. Hamburg 2010. 406 S.

Carlos Martinez, Michael Fox u. Jojo Farrel (Hg.): Venezuela Speaks! Voices from the Grassroots. Oakland 2010. 350 S.

Eva Haule: La revolución somos todos. Die Revolution sind wir alle. Gespräche mit BasisaktivistInnen und Fotos aus Venezuela. AG Spak. Neu-Ulm 2009. 143 S.

Azzellini konzentriert sich auf das emanzipatorische Potenzial der in Venezuela seit Jahren erprobten Partizipationsansätze. Dabei zeigt sich, dass die laut Verfassung von 1999 angestrebte »partizipative und protagonistische Demokratie« im vergangenen Jahrzehnt viel Improvisation bedeutet hat. Gerade das Ausprobieren und mitunter auch Scheitern partizipativer Ansätze sei aber als Erkenntnisgewinn zu begreifen. Den bolivarianischen Prozess beschreibt Verf. als einen »ungewöhnlichen, neuen Weg der Kämpfe und der Strategien gesellschaftlicher Transformation, der Konzepte von oben und von unten kombiniert« (19). Theoretisch nähert sich Verf. dem bolivarianischen Prozess mit dem Konzept der »Konstituierenden Macht« von Negri, das Chávez selbst gelegentlich zitiert. Ohne diese »den Menschen kollektiv innewohnende legitime schöpferische Kraft«, verkomme »das Politische zum Verwaltungsvorgang und zur despotischen Machtausübung« (136). In diesem Spannungsverhältnis bestünde die Gefahr für »populare Bewegungen« – eine Bezeichnung, die Verf. dem Begriff soziale Bewegungen vorzieht –, zum Anhängsel der »Konstituierten Macht« zu werden. Entscheidend sei, »wie der Staat die Bewegungen und die Selbstorganisation fördern, begleiten und stärken kann, ohne sie zu kooptieren oder über sie hinwegzugehen« (180f).

Paul Reuber, Anke Strüver, Günther Wolkersdorfer (Hg.): Politische Geographien Europas – Annäherungen an ein umstrittenes Konstrukt. 2. Aufl. Berlin 2012. 206 S.

Über Grenzen als Konstrukte – und über Grenzen des Konstruktiven?

In der Humangeographie wird ein Dreiecksverhältnis favorisiert, das durch die Eckpunkte Raum, Gesellschaft und «…» markiert wird, wobei «…» als Platzhalter von Elementen der Humangeographie zu lesen ist. Als Hintergrund gilt die nicht ganz überraschende Wahrnehmung, dass Räume nur unzulänglich mit Distanzen oder ähnlichem zu fassen sind. Bereits die geläufige Unterscheidung von topographischem und geographischem Raum verweist auf komplexere Sachverhalte. Für die im vorliegenden Band thematisierte «Politische Geographie» wird das Dreiecksverhältnis um den Faktor Politik oder Macht ergänzt und mit neuen Konzepten und Fragen konfrontiert.

Hanspeter Buba, Jochen Grötzbach und Rolf Monheim (Hg.): Nachhaltige Mobilitätskultur. Mannheim (Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 22) 2010. 230 S.

Wenn die beiden Brüder Rolf und Heiner Monheim aus Bayreuth bzw. Trier an einem Buchprojekt beteiligt sind, ist Engagement und Herzblut zu erwarten. Dies bestätigt sich in der jüngsten, rd. 200 Seiten umfassenden Studie zur nachhaltigen Mobilitätskultur, die von den drei Autoren Hanspeter Buba, Jochen Grötzbach und Rolf Monheim federführend verantwortet wird. Die Veröffentlichung stellt ein Gemenge aus einem Abschlussbericht eines UBA-Forschungsprojekts mit dem etwas sperrigen Titel ?Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitskommunikation über die Neubestimmung der Mobilität aus kulturpolitischer Sicht“ sowie einigen Beiträgen dar, die für einen Workshop zu diesem Forschungsprojekt entstanden und in einen durchlaufenden Text in dem Buch integriert sind. Die einzelnen Beiträge, die im Rahmen des Workshops geschrieben wurden und einzelne Abschnitte des Buches darstellen, stammen von Jeffrey Hands, Silvia Körntgen, Heiner Monheim und Annette Rauterberg-Wulff.

Achim Prossek: Bild-Raum Ruhrgebiet. Zur symbolischen Produktion der Region. Detmold (SURF – Stadt- und regionalwissenschaftliches Forschungsnetzwerk Ruhr, Reihe Metropolis und Region, Band 4) 2009. 198 S. 

Für eine konstruktivistisch informierte Humangeographie ist die Räumlichkeit der Gesellschaft nicht „an sich“ gegeben, sie wird vielmehr von handelnden Akteuren und vermittelt über gesellschaftliche Diskurse sozial produziert. Folglich bezieht sich Handeln nicht auf präexistente Räume, sondern es orientiert sich an Raumwahrnehmungen und räumlichen Sinnzuschreibungen. In diesem methodisch-theoretischen Kontext sind die „Raumbilder“ angesiedelt, denen die vorliegende Arbeit am Beispiel des Raumkonstrukts „Ruhrgebiet“ nachgeht. Gegenstand ist der Wandel der Selbst- und Fremdwahrnehmung des Ruhrgebiets, die „visuelle und kommunikative Produktion der Region“ seit den 1990er Jahren. Behandelt werden unter anderem die Internationale Bauaustellung Emscher Park, das Projekt der Landmarken, Emscher-Landschaftspark und Emscher-Umbau, die Bezeichnungen des Ruhrgebiets, Industriekultur, die Ruhrtriennale sowie das Ruhr-Museum.

Irini Siouti: Transnationale Biographien. Eine biographieanalytische Studie über Transmigrationsprozesse bei der Nachfolgegeneration griechischer Arbeitsmigranten. Bielefeld 2013. 254 S.

Vor über 10 Jahren wurde in der Migrationsforschung heftig um die theoretische Vorherrschaft gerungen. Die Transnationalismusthese trat gegen etablierte Integrations- und Assimilationstheorien an, und die Systemtheorie empfahl sich als dritte Option (vgl. dazu in dieser Zeitschrift beispielhaft abgebildet: Bommes 2003; Esser 2003; Pries 2003). Speziell Esser als Vertreter der Integrations- und Assimilationstheorien geizte nicht mit harten Worten. Wenn man nicht „an der Marginalisierung der Migranten und am Entstehen dauerhafter ethnischer Schichtungen“ interessiert sei (Esser 2001, 97), dann gebe es „zur individuellen strukturellen Assimilation als Modell der intergenerationalen Integration keine (vernünftige) theoretische, empirische und auch wohl normative Alternative“ (Esser 2003, 20). Mit dieser Ablehnung versuchte er die von ihm maßgeblich entwickelte Integrations- und Assimilationstheorie in ihrer Integrität zu bewahren und sie dabei insbesondere gegen die Angriffe der Transnationalismusforschung zu verteidigen. Zwischenzeitlich ist man in einen Zustand theoretischer Ökumene übergegangen und hat sich stillschweigend darauf geeinigt, die Entscheidung über die Adäquatheit der konkurrierenden Theorien auf die Empirie, d. h. auf weitere Forschungen, zu verschieben.

Südwind e.V. & Ökumenisches Netz Rhein Mosel Saar (Hg.): Schutz der Arbeit in Partnerschaftsabkommen mit China? Fallbeispiele Adidas, Metro und Aldi. Siegburg 2010. 94 S.

Ingeborg Wick vom Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene sowie weitere z.T. ungenannte AutorInnen aus China haben wertvolle empirische Daten nicht nur zu den Arbeitsbedingungen in chinesischen Zulieferbetrieben der Unternehmen Aldi, Adidas und Metro geliefert, sondern setzen diese Informationen in Zusammenhang mit deutsch-chinesischen Partnerschaftsabkommen. Auf diese Weise erhält die Broschüre eine sehr konkrete Handlungsorientierung.

David Chandler: International Statebuilding – The Rise of Post-Liberal Governance. London 2010. 218 S.

Der Autor liebt die Debatte. In seiner neuesten Monographie stellt er sich gegen weite Teile der anglo-amerikanischen Statebuilding-Forschung und Kritik. Dies ist auch für Diskussionen in Deutschland aufschlussreich. Er behauptet, die westliche Interventionspolitik und die Reflexion darüber seien in einem post-liberalen Paradigma gefangen, das grundlegende Machtfragen ausblende und emanzipatorische soziale Transformation gar nicht erst in den Blick nehme. Post-liberal sei diese Politik, weil sie im Gegensatz zu früheren Interventionen die im Liberalismus verankerte Autonomie des Individuums und die Souveränität des Staates nicht mehr als gegeben und unverletzlich ansehe, sondern erst herzustellen versuche.

Rainer Wehrhahn und Verena Sandner Le Gall: Bevölkerungsgeographie. Darmstadt 2011. 158 S.

„Die Bevölkerungsgeographie ist als Forschungs- und Lehrgebiet seit langem fest in der Humangeographie verankert“ (S. 1), wobei das Geographische Institut der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, dem die Autoren angehören, sicherlich einen Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum darstellt. In diesem Zusammenhang sei nur an die 2010 in der 5. Auflage (!) erschienene, umfassende „Bevölkerungsgeographie“ von J. Bähr erinnert, der an diesem Institut für dreißig Jahre als Hochschullehrer tätig war.