Markus Wissen: Gesellschaftliche Naturverhältnisse

Markus Wissen: Gesellschaftliche Naturverhältnisse in der Internationalisierung des Staates. Konflikte um die Räumlichkeit staatlicher Politik und die Kontrolle natürlicher Ressourcen. Münster 2011. 301 S.

Verf. kritisiert am spatial turn in den Sozialwissenschaften, dass bislang oft von zentralen Raumdimensionen (politökonomische Aspekte, physisch-materielle Bedingungen, Materialität sozialer Prozesse) abstrahiert werde. Dies blockiere »eine materialistische Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen jüngsten Transformationsprozessen« (16), wie Verf. sie anstrebt. Für das generelle Ziel der Arbeit – das »Konzept der Internationalisierung des Staates« weiter auszuarbeiten (29) – knüpft Verf. v.a. an neogramscianische und neopoulantzianische Arbeiten zur Internationalisierung des Staates, die neuere Imperialismusdiskussion (v.a. Harvey), die Scale-Debatte der angloamerikanischen Radical Geography, die die Räumlichkeit sozialer Prozesse als produziert und veränderbar versteht, und das Raum-Zeit-Konzept von Poulantzas an. Mittels der aus diesen Debatten gewonnenen »raumsensiblen Perspektive« (34) – d.h. der Betrachtung der skalaren und physisch-materiellen Dimensionen des Verhältnisses von Staat und Raum – sollen aktuelle Veränderungsprozesse staatlicher Politik analysiert werden, die sich über die Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse und gebauter Umwelt vollziehen.

Alexandre Duchêne u. Monica Heller (Hg.): Language in Late Capitalism. Pride and Profit. London, New York  2011. 269 S.

»Stolz und Profit« sind, so das Credo dieses Bandes, die zentralen Steuerungsmechanismen sprachlicher Kommunikation im globalisierten neoliberalen Kapitalismus. So stellen die Herausgeber/innen, der eine Schweizer, die andere Frankokanadierin, einerseits »the wide spread emergence of discursive elements that treat language and culture primarily in economic terms« fest, andererseits beobachten sie die dazu komplementäre Tendenz »that shifts the terms on which social difference is made and on which relations of power are constructed« (3). Wie dies im einzelnen funktioniert, wird an Hand von zehn sprach-ethnographischen Fallstudien, von der Fangemeinde des FC Basel bis zur kanadischen Kriegsmarine, materialreich vor Augen geführt.

Lukasz Stanek: Henri Lefebvre on space: architecture, urban research, and the production of theory. Minneapolis, London 2011. 371 S.

Architektur: Doch revolutionär?
Bereits durch die Titelwahl, Henri Lefebvre on space: architecture, urban research, and the production of theory, tut Lukasz Stanek mit seinem Buch eine wissenschaftliche Strenge kund, die frischen Wind in die Diskussion über das Werk des französischen Denkers bringen dürfte. Seit dessen In-Mode-Kommen in Europa sind Verweise auf Lefebvre in Lehre und Forschung zwar reichlich vorhanden, aber häufig recht oberflächlich. Anders verhält es sich mit diesem aus Interviews, Archivrecherchen und originellen Querlektüren (u.a. die Kritik sozialistischer Stadtplanung in Polen durch die Augen des Geografen Bohdan Jalowiecki) entspringenden Buch.

Till Winkelmann: Handeln im Zeichen von HIV, AIDS: Untersuchungen zu gesellschaftlicher Transformation im ländlichen Raum Malawis. Berlin (Entwicklungsforschung 8) 2010. 270 S.

Die HIV/AIDS Pandemie im subsaharischen Afrika durchdringt und verändert die Gesellschaften vor Ort tiefgreifend. Dennoch wird dieser Themenkomplex in der deutschsprachigen Geographie bisher nur unzureichend beleuchtet. Gesellschaftlicher Wandel in Entwicklungsländern hingegen ist ein zentrales Beschäftigungsfeld, v. a. der geographischen Entwicklungsforschung.

Maximilian Benner: Clusterpolitik – Wege zur Verknüpfung von Theorie und politischer Umsetzung. Berlin u. a. (Wirtschaftsgeographie, Band 52) 2012. 273 S.

Die Begründungsmöglichkeiten, Ziele und Instrumente der Clusterpolitik sind seit dem Ende der 1990er Jahre vielfach ausgelotet worden. Dabei dominiert das Genre des Sammelbandes, das einen Dialog zwischen Forschern, Praktikern und politisch Verantwortlichen ermöglicht. Daneben existieren Guidelines zum Clustermanagement sowie ein breites Angebot an empirischen Evaluationen von Clustern bzw. Clusterpolitiken. Die vorliegende Diss. zielt auf eine Zwischenbilanz und eine weitere Konzeptualisierung dieser Diskussion. Angestrebt wird „eine normative Theorie der Clusterpolitik“, die als ein „systematisch weitgehend unbearbeitetes Feld“ (5) angesehen wird.

Michael Fahlbusch: Von "blonden Provinzen" und "kapitalen Rothirschen"

Ulrike Jureit: Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg 2012. 445 S.

"Das brutalste Element (...) war die 'ethnische Säuberung' mit dem Ziel, Minderheitengruppen aus Gebieten zwangsweise zu vertreiben, die von einer anderen Mehrheit bewohnt werden. Vorher lebten verschiedene Volksgruppen zusammen im selben Dorf und es gab keine Teilung in ethnische Gruppen und keine ethnische Säuberung. Die Ursachen der Situation waren also eindeutig politisch."1 So schätzt der Zwischenbericht des UN-Comittee on the Elimination of Racial Discrimination vom 6. März 1995 die Massaker im ehemaligen Jugoslawien ein. Geht diesen Massakern der "Masters of Death" (Richard Rhodes) ein 'Masterplan' voraus, der wie in diesem Fall Grenzziehungen und detaillierte Ausscheidungen der dort lebenden Bewohner nach soziodemographischen und ethnischen Merkmalen beinhaltete und deren Deportationen und Vernichtung einschloss, so handelt es sich um einen politisch handlungsleitenden Genozid.

Nadja Meisterhans: Menschenrechte als weltgesellschaftliche Herrschaftspraxis. Zur Konstitutionalisierung und Demokratisierung des Weltrechts. Baden-Baden 2010. 151 S.

Menschenrechte besitzen ein hohes Maß an Evidenz und sind dennoch vielfältiger Kritik ausgesetzt – nicht zuletzt, weil die in ihnen verankerten Normen und Werte seit dem Ende der Blockkonfrontation immer wieder als Rechtfertigung kontroverser, militärisch vorgetragener Interventionen angerufen wurden.

Sundhya Pahuja: Decolonising, International Law. Development, Economic Growth and the Politics of Universality. Cambridge 2011. 303 S.

Aufs Erste erscheint das Völkerrecht als universelles Normengefüge par excellence. Die gegenseitige Anerkennung der souveränen Staaten, auf denen es wesentlich beruht, ist zunächst einmal Ausdruck des Gleichheitsprinzips, wie ja auch alle souveränen Staaten die Möglichkeit haben, Mitglied der Vereinten Nationen zu werden und in der Generalversammlung sämtlich gleichermaßen eine Stimme haben. Die Kritik aus der Perspektive der postkolonialen Studien sowie des Post-Development hat demgegenüber auf den westlichen Ursprung des Völkerrechts hingewiesen, dessen universelle Ausweitung über die europäische Provinz hinaus instrumentell für koloniale Herrschaft war, wodurch die Universalisierung des Prinzips gleicher souveräner Staaten bereits der Universalisierung eines provinziellen, jedoch auf globaler Ebene hegemonialen Ordnungsprinzips gleichkomme.

Karl Husa, Heinz Nissel und Helmut Wohlschlägl (Hg.): Südost- und Südasien. Demographische, soziale und regionale Transformationen.  (Abhandlungen zur Geographie und Regionalforschung 13). Wien 2011. 600 S.

Während die früheren Asienschwerpunkte des Institutes für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien in erster Linie auf Bereiche des Nahen und Mittleren Ostens – insbesondere Iran und Türkei – konzentriert waren und für immer mit den Pionieren Hans Bobek, Hans Pozdena, Martin Seeger und Gustav Stratil-Sauer verbunden bleiben, verlagerten sich die asienbezogenen Betätigungsfelder ab Mitte bis Ende der 1980er Jahre auf Süd- und vor allem auf Südostasien. Der vorgelegte, ungemein umfang- und materialreich ausgestattete Band legt beredt Zeugnis davon ab, wie umfassend die neuen Schwerpunktbereiche in der Forschung ausgebaut und in die Lehre integriert wurden.

Joachim Bischoff, Frank Deppe, Richard Detje u. Hans-Jürgen Urban: Europa im Schlepptau der Finanzmärkte. Hamburg 2011. 128 S.

In Europa hat sich ein autoritäres Austeritätsregime herausgebildet, das gravierende demokratische Legitimationsdefizite aufweist: »Das Ruder übernommen hat ein autoritäres Regiment von Vertretern der EU, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, berechtigt, entscheidende demokratische Normen über Bord zu werfen.« (8) In seinem historischen Abriss skizziert Deppe den Prozess der europäischen Integration unter dem Schirm der US-Hegemonie. Von Beginn an war sie durch das Spannungsverhältnis von asymmetrischer politischer und ökonomischer Integration sowie dem Gegensatz von Kapital und Arbeit geprägt, der sich »als Widerspruch zwischen grenzüberschreitender Marktintegration und Sozialintegration« artikulierte (18).

Matthias Adolf: Die Energiesicherheitspolitik der VR China in der Kaspischen Region. Erdölversorgung aus Zentralasien. Wiesbaden 2011. 488 S.

Verf. liefert eine empirisch fundierte und detaillierte Studie zur »Sicherheitsstrategie der Energieversorgung der VR China mit Fokus auf den fossilen Energieträger Erdöl«, die sich auf den Zeitraum von Mitte der 1990er Jahre bis 2009 konzentriert (30).