Sandro Mezzadra u. Andrea Fumagalli (Hg.): Die Krise denken. Finanzmärkte, soziale Kämpfe und neue politische Szenarien. Münster 2010. 176 S.

An Krisenerklärungen besteht kein Mangel. Marxistische Ansätze pflegen eine historische Perspektive und beanspruchen, Ursachen zu benennen, ohne deren Bearbeitung Krisenlösungen scheitern müssen. So auch die mit Antonio Negri arbeitende italienische Gruppe UniNomade. Ihre These ist, dass eine Trennung zwischen ›realer‹ und ›finanzieller‹ Ökonomie faktisch nicht mehr möglich sei. Verf. sprechen von einem »Rente-Werden« (21) von Profit und Lohn, da immer größere Teile dieser Einkommen unentwirrbar mit dem Finanzmarkt verwoben seien. Vorschläge zur politischen Regulierung des Finanzkapitalismus greifen daher zu kurz; Versuche, einen neuen sozialen Kompromiss zu formulieren, wie sie von den DGB-Gewerkschaften und Parteien wie der SPD und der Linkspartei formuliert werden, seien illusionär.

Andreas Faludi: Cohesion, Coherence, Cooperation: European Spatial Planning Coming of Age? London, New York, 2010. 207 S.

Andreas Faludi, Professor für europäische Planungssysteme an der Technischen Universität in Delft, legt mit dem 2010 erschienen Buch «Cohesion, Coherence, Cooperation: European Spatial Planning Coming of Age?» eine eindrucksvolle und detaillierte Analyse der geschichtlichen Entwicklung der «Europäischen Raumplanung» – wie der Autor sie nennt – vor. Das Werk spannt den Bogen von den ersten, über nationalstaatliche Grenzen hinausgehende, raumplanerischen Überlegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, über die europäische Integration und den steten Versuch der Berücksichtigung ihrer räumlichen Dimension, bis hin zur aktuellen Diskussion über die Bedeutung des, im Vertrag von Lissabon neu verankerten, «territorialem Zusammenhalts» und geht auch auf die ungewisse Zukunft der europäischen Raumentwicklungspolitik ein.

Martin Schneider: Raum – Mensch – Gerechtigkeit, Sozialethische Reflexionen zur Kategorie des Raumes. Paderborn 2012. 726 S.

Das Thema der «Ethik in der Raumplanung» erfährt derzeit eine gewisse Aufwertung. Gleich in mehrere Studiengänge findet es Eingang. Erfreulich, bemerkenswert. So an der Technischen Universität Wien im Lehrgang Raumplanung. Und auch in der Literatur wird die Dimension neu belebt, etwa mit der Frage nach der gerechten Verteilung finanzieller Mittel an unterschiedliche Räume (Ländliche Räume/Metropolitanräume, alte/neue Bundesländer), wie sie von der Hanns Seidel- und der Konrad Adenauer Stiftung aufgeworfen wurde.

The Berlin-Reader

Samuel Merrill, Sandra Jasper: Was ist so Berlin? Eine kritische Betrachtung aktueller Linien und Fragestellungen der Stadtforschung zur deutschen Hauptstadt. Konferenzbericht und Buchrezension

Einleitung
Ende 2012 startete das Berliner Stadtmagazin zitty die Werbekampagne „Das ist so Berlin“. Gelegentlich kann man die kleinen rot-weißen Aufkleber der Kampagne, die 2013 überall in der Stadt, auf Mülleimern, U-Bahn-Schildern und Bushaltestellen auftauchten, heute noch finden. Während diese Kampagne auf die vermeintliche Besonderheit Berlins anspielte, hoben im selben Jahr eine Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen und Publikationen das zunehmend internationale Stadtforschungsprofil von Berlin hervor – beziehungsweise hinterfragten dieses. Sitzungen der Jahreskonferenz der Association of American Geographers (AAG) in Los Angeles (9.-13. April 2013)[1] sowie des Jahrestreffens des Research Committee 21 (RC21) der International Sociological Asscociation in Berlin (29.-31. August 2013) rückten die deutsche Hauptstadt in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Zeitgleich machte ein Sammelband mit dem Titel The Berlin Reader: A Compendium on Urban Change and Activism (2013) zum ersten Mal eine Vielzahl wichtiger deutschsprachiger Stadtforschungsaufsätze zu Berlin einer internationalen englischsprachigen Leser_innenschaft zugänglich.

Bernd Wiese: WeltAnsichten. Illustrationen von Forschungsreisen deutscher Geographen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Graphik, Malerei, Photographie. Die Wirklichkeit der Illustration? Köln 2011. 292 S.

Mit diesem Werk stellt der Autor die berühmtesten deutschen Forschungsreisenden im Kontext ihren jeweiligen Epochen ebenso vor, wie die von ihnen außerhalb des europäischen Kontinents in Süd- und Zentralamerika, in Asien und schließlich in Afrika gemachten Entdeckungen. Der Autor liefert einen sorgfältig recherchierten Überblick der jeweiligen historischen Kontexte, in denen die Forschungsreisen erfolgt sind. Dabei wird der Blick sowohl auf die Ebene der Herkunftsländer der Forscher, als auch auf die Ebene der Verhältnisse in den besuchten Regionen gerichtet. An den Anfang des Werkes stellt der Autor die jeweiligen Reisevorbereitungen, d.h. die unterschiedlichen Finanzierungen, die einzelnen Planungsschritte u.a. genauso dar, wie die Feldforschungsmethoden der Malerei und der Zeichnung.

Christophe Sohn (ed.): Luxembourg. An Emerging Cross-border Metropolitan Region. Brussels 2012. 313 pp.

For decades, the city of Luxembourg has been marvelled at for its outstanding economic success based on comparative advantages of service specialisation for international customers. This book, whose chapters have mainly emerged from the nationally funded collaborative research project METROLUX, explores various facets of Luxembourg’s recent dynamics, discussing its alleged ‘metropolitan’ qualities and border-transcending influences. An overarching introduction by the editor Christophe Sohn, on the one hand, and concluding remarks by the reputed expert on border regions Bernard Reitel, on the other one, set the framework for a selection of eleven chapters by various authors from Luxembourg, France and Germany, most of them urban or economic geographers.

Thomas M. Schmitt: Cultural Governance. Zur Kulturgeographie des UNESCO-Welterberegimes. Stuttgart 2011. 452 S.

Im Kontext der aktuellen Diskussion in den Sozial- und Kulturwissenschaften um die Rolle von kulturellem Erbe siedelt Schmitt seine Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Politischer Geographie und Sozialgeographie an. Die Studie nähert sich der Welterbegovernanz aus verschiedenen Blickwinkeln auf der Grundlage eines multilokalen Forschungsansatzes und unter Verwendung qualitativer Methoden. Zwar sind Studien zum UNESCO-Welterbe etablierte Forschungsthemen, dennoch sind insbesondere auf Feldforschung beruhende und auf lokaler Ebene ansetzende empirische Fallstudien selten. Das gilt insbesondere für die Arabische Welt, auf die sich die Arbeit bezieht. Es ist daher kein geringes Verdienst von Schmitt, sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt zu haben.

Maha el Hissy: Getürkte Türken. Karnevaleske Stilmittel im Theater, Kabarett und Film deutsch-türkischer Künstlerinnen und Künstler. Bielefeld 2012. 287 S.

Jochen Neubauer: Türkische Deutsche, Kanakster, Deutschländer. Identität und Fremdwahrnehmung in Film und Literatur: Fatih Akin, Thomas Arslan, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Šenocak und Feridun Zaimoglu. Würzburg 2011. 574 S.

Deutsche mit türkischen Namen, mit Zügen, die uns »türkisch« vorkommen, gehören inzwischen zu unserm Alltag, auf den Straßen wie auf dem Buchmarkt. Wir sollten sie als Teil der »Normalität« nehmen, plädieren die beiden Untersuchungen, zwei markante (sehr unterschiedliche) Beispiele der laufenden Forschungsbemühungen, die Resultate des »postcolonial turn« auch im hiesigen Wissenschaftsdiskurs einzubürgern. Das heißt: Kulturen stehen einander nicht geschlossen und schon gar nicht unveränderlich gegenüber. Die Menschen bewegen sich nicht »zwischen« ihnen, sie überschreiten sie, die eine wie die andere, haben Teil an mehreren zugleich, im Wechsel oder auch vermischt.

Owain Jones u. Joanne Garde-Hansen (Hg.): Geography and Memory. Explorations in Identity, Place and Becoming. Basingstoke 2012. 272 S.

Dem regelrechten Boom der interdisziplinären memory studies (vgl. Olick 2007) steht seit etwa zehn Jahren auch eine stetig anwachsende geographische Literatur zum Komplex des Erinnerns und Vergessens zur Seite (jüngst Meusburger et al. (Hrsg.) 2011 oder überblicksartig z. B. Bischoff/Denzer 2009; Hoelscher/Alderman 2004; Legg 2007). Der vorliegende Sammelband zielt in seinen Explorations in Identity, Place and Becoming jedoch nicht auf eine vorläufige Synthese des Feldes Geography and Memory ab. Vielmehr machen die Herausgeber Owain Jones und Joanne Garde-Hansen in ihrer Einführung deutlich, dass sie einerseits die Beschäftigung geographischer Arbeiten mit kollektiven Gedächtnissen um "kleinere Maßstäbe“ des Erinnerns im Individuellen und in kleinen Gruppen ergänzen, andererseits mit der ihrer Ansicht nach übertriebenen Betonung des gegenwärtigen Moments durch die non-representational-geography (NRG) brechen wollen.

Tobias ten Brink: Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien. Frankfurt am Main, New York (Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, Band 78) 2013. 372 S.

Tobias ten Brink hat eine höchstgradig interessante und fundierte Studie vorgelegt, in der er die „kapitalistische Entwicklung“ Chinas in vier Kapiteln nach­ und aufzeichnet. In der dem ersten Kapitel vorangehenden Einleitung konstatiert er, dass der chinesische Entwicklungsprozess den „weltweit erfolg­ und folgenreichsten Fall einer nachholenden Entwicklung“ darstelle (13). Davon ausgehend interessieren ihn drei Fragen: (a) der Charakter des chinesischen „Gebildes“, (b) die Kräfte, die diese Dynamik bewirkt haben, (c) die Folgen dieses Prozesses (13).

Detlef Kanwischer: Spuren lesen und geographische Bildung


Didaktische Anmerkungen zu Gerhard Hard 1995: Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des Spurenlesens in der Vegetation und anderswo. Osnabrücker Studien zur Geographie, Bd. 16. Osnabrück.1


Aus Anlass des 80. Geburtstages von Gerhard Hard haben mich die Herausgeber der Geographischen Revue gebeten, mich mit dem Buch „Spuren und Spurenleser“ aus einer didaktischen Perspektive zu befassen, um die Bedeutung dieses Klassikers für die geographische Bildung zu diskutieren. Gerne bin ich dieser Anfrage nachgekommen, da ich den Ansatz des Spurenlesens während meiner Osnabrücker Studienzeit in mehreren inspirierenden Veranstaltungen bei Gerhard Hard hautnah erlebt habe und der Ansatz meine geographische Lehre an Schule und Hochschule bis heute prägt.