Lars Bretthauer, Alexander Gallas, John Kannankulam u. Ingo Stützle (Hg.): Poulantzas lesen. Zur Aktualität marxistischer Staatstheorie. Hamburg 2006. 336 S.

Die Texte Nicos Poulantzas' erleben derzeit gerade in der Linken eine Art Renaissance. Zwar galt Poulantzas (1936-1979) schon länger als einer der wichtigsten marxistischen Theoretiker des späten 20. Jahrhunderts, wurde aber auf Grund seiner Nähe zum französischen Strukturalismus oft vorschnell in dieselbe Schublade wie Althusser gesteckt. Dass vor allem sein Hauptwerk, die "Staatstheorie" von 1977, durchaus als weiterführende Auseinandersetzung mit seinen früheren Arbeiten (und damit auch der Althusser-Schule) angesehen werden kann, wurde kaum wahrgenommen. Angesichts der aktuellen Verwerfungen kapitalistischer Vergesellschaftung finden die Werke des griechisch-französischen Marxisten inzwischen allerdings wieder vermehrt Eingang in die kapitalismuskritischen Debatten.

Das Argument 267: Global Geschichte denken. Berlin: Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT) 2006 (48. Jg., 4. Heft) 159 S. (S. 487-636 des Jahrgangs)

Der Heftschwerpunkt zielt auf Beiträge zu einer "kritischen Globalgeschichte" ab, die in unterschiedlicher Weise und unterschiedlich explizit an Hardt und Negri, Empire anknüpfen. Gleichsam den theoretischen Hintergrund dazu liefert Wolfgang Fritz Haug im Anschluss an eine Reihe neuerer Beiträge vor allem aus dem Socialist Register, wenn er die Unterscheidung der Begriffe "Imperium" und "Imperialismus" erläutert: Bezieht sich das eine auf einen übergreifenden und hegemonialen globalen Herrschaftszusammenhang, so steht der andere in Anlehnung an die klassische, vor allem Leninsche Imperialismustheorie für die diktatorischen Potentiale zwischenstaatlicher Konkurrenz auf globaler Ebene. Die empirische Einlösung dieser begrifflichen Unterscheidung wird freilich dadurch kompliziert und politisch brisant, dass die USA "einerseits als globaler Gesamtkapitalist fungieren, andrerseits als staatliches Konkurrenzorgan des nationalen Kapitals" (518), also die Interessen des Gesamtsystems als solche des einen übermächtigen, nationalstaatlich organisierten Kapitals definieren und vertreten.

Carsten Felgentreff und Thomas Glade (Hg.): Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Heidelberg, Berlin 2008. 454 S.

Die beiden Herausgeber befassen sich einleitend mit „Naturrisiken - Sozialkatastrophen: zum Geleit“, um Ansatz und Idee des Werkes vorzustellen, an welchem 43 Autorinnen und Autoren mitwirkten. Unter Verweis auf ein Zitat von W. SCHMIDT-WULFFEN (1982, 139) wird klargemacht, dass "Katastrophe" nicht eine Sache der Natur ist, sondern dass es sich um ein Ereignis handelt, das eine betroffene Gesellschaft als Katastrophe bewertet. Diesem Ansatz sind alle Beiträge unterstellt.

Barbara Brower and Barbara Rose Johnston (HG): Disappearing peoples? Indigenous groups and ethnic minorities in South and Central Asia.  Walnut Creek 2007. 275 S.

Dass die Globalisierung zunehmend auch peripher gelegene und bislang isolierte Regionen erreicht und einen Homogenisierungszwang auf die hier lebenden ethnischen Minderheiten ausübt, ist der Ausgangsgedanke für das Buch von B. BROWER und B. R. JOHNSTON. Beide Wissenschaftlerinnen sorgen sich um den Verlust von human diversity. Als eine betroffene Region identifizieren sie den Hochgebirgsgürtel Süd- und Zentralasiens, für die sie verschiedene Fallbeispiele zusammentragen. Dabei haben die Herausgeberinnen ein weit gefasstes Verständnis dieses Großraums, weshalb der Sammelband z.B. auch über die Lezghi, einer Minderheit im Grenzgebiet zwischen Aserbaidschan und Südrussland, sowie über die am Gelben Fluss beheimateten Menhe Mangghuer berichtet.

Hans-Dietrich Schultz (Hg.): Das war/ist geographisches Denken ... Band 1: Textauszüge von 1728 bis 1859. Arbeitsberichte 127. Band 2: Textauszüge von 1860 bis 1907. Arbeitsberichte 128. Band 3: Textauszüge von 1908 bis 1927. Arbeitsberichte 129. Band 4: Textauszüge von 1928 bis 1945. Arbeitsberichte 130. Band 5: Textauszüge von 1946 bis heute. Arbeitsberichte 131. Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin. Berlin 2007


"Ad fontes", das vorangestellte alte humanistische und aufgeklärte Motto, ist Programm des von Hans-Dietrich Schultz in fünf dicht gedruckten Bänden vorgelegten Opus. Eins muss direkt gesagt werden: Es handelt sich nicht um ein Lehrbuch oder Lehrwerk, sondern vielmehr um ein "Lesebuch", auch um ein nützliches Studierbuch und Nachschlagewerk, das ungemein lehrreich sein kann. Die vielen Seiten muss man sicherlich nicht von vorne bis hinten studieren, aber man kann dies natürlich auch tun! Die mit enormem Fleiß und konkurrenzloser Weitsicht zusammengetragene Textsammlung stellt dem Leser einen riesigen Quellenkorpus zum Studium der Geschichte der deutschsprachigen Geographie von 1728 bis 2007 zur Verfügung. An dieser Stelle sollen und können natürlich nicht die vielen Originaltexte rezensiert werden; vielmehr gilt es, eine bewundernswerte Herausgeberleistung zu würdigen.

Tessa Van der Valk: Technology Dynamics, Network Dynamics and Partnering. The Case of Dutch Dedicated Life Sciences Firms. Utrecht 2007 (Nederlandse Geograische Studies 360). 141 S.

Compiling chapters that highlight different facets of collaboration in technology development, the book represents the cumulative dissertation of the author. Framed by an overarching introduction that sketches the broader line of argumentation and basic terminology, and a recapitulating discussion and conclusions at the end, four main chapters point out findings of different analytical approaches toward the central theme: the objective of identifying the factors that contribute to the proneness of Dutch life sciences (biotechnology) firms to collaborate with other organisations. Although all chapters may be read independently from each other, the author constructs a logical link between them. She connects the 'macro-level' perspective on technology dynamics and networking dynamics (overlooking the rather 'meso-level' qualities of the latter) as a context of partnering, on the one hand, with the 'micro-level' view on firms’ motivations to collaborate as an explanation for partnering, on the other.

Sandra Petermann: Rituale machen Räume. Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie. Bielefeld 2007. 350 S.

Die Mainzer sozialgeographische Dissertation greift ein wichtiges Thema von Erinnerungspraxis und -kultur auf: Schlachtfelder als Orte kollektiven, häufig auch staatlich inszenierten Erinnerns. Höchst nützlich ist der ausführliche Literaturüberblick. Leider dokumentiert die Autorin ihre Empirie - u.a. 105 Interviews - völlig unzureichend, so dass der geneigte Leser selbst versuchen kann herauszufinden, ob die Zitate von Experten, Veteranen oder Touristen stammen, von deren Nationalität ganz zu schweigen. Aussagen, die ein gewisses analytisches Gewicht zu beanspruchen scheinen, werden auch schon mal in ein Interviewzitat gekleidet, das mit "Ich sag mal" beginnt. Die Autorin neigt ferner dazu, Kontroversen nur zu benennen oder unterschiedliche Aussagen nebeneinander zu stellen.

Bernhard Schäfers unter Mitarbeit von Alexa M. Kunz.: Stadtsoziologie. Stadtentwicklung und Theorien -Grundlagen und Praxisfelder. Wiesbaden 2006. 231 S.

Die von Bernhard Schäfers vorgelegte Einführung in die Stadtsoziologie ist der zweite Teil einer "Soziologie der Architektur und der Stadt". Konzipiert als Lehrbuch für Studienanfänger und offenbar hervorgegangen aus einer Vorlesung an der Universität Karlsruhe ist der Band drei Zielen gewidmet, insofern er die "materiellen und sozialen Grundlagen der Stadt und ihrer Entwicklung, wichtige Theorien und einige Praxisfelder herausarbeiten" (S. 20) möchte. Angesichts des gegebenen Seitenumfangs muss dieses Programm allerdings zwangsläufig zu einer selektiven und häufig doch recht verkürzenden Darstellung führen, dies um so mehr, als die behandelten Themen häufig über die Stadtsoziologie hinaus reichen und vor allem historische und planerische Aspekte mit einbeziehen.

Steffi Hobuß und Ulrich Lölke (Hg.): Erinnern verhandeln. Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas. Zweite, erweiterte Auflage. Münster 2007. 272 S.

Drei Jahrestage haben jüngst die Geschichte des deutschen Kolonialismus wieder in Erinnerung gerufen: der 120. Jahrestag der Berliner "Kongo-Konferenz" und die 100. Jahrestage des Ausbruchs der Kolonialkriege in Namibia und Tanzania. Die historische Forschung zum deutschen Kolonialismus ist dadurch nicht nur intensiviert worden, sondern sie hat auch verstärkt die Themen Gedächtnis und Erinnerung in den Blick genommen, die in den Geistes- und Sozialwissenschaften seit einiger Zeit geradezu boomen.
Der Sammelband der beiden Lüneburger PhilosophInnen Steffi Hobuß und Ulrich Lölke spiegelt dies deutlich wieder: Es geht hier um Kolonialismus, und zwar aus der Perspektive der Erinnerungsforschung. Ein zentraler Begriff in den meisten der sehr lesbaren Beiträge ist dabei die "umkämpfte Erinnerung". Im Fokus stehen also Aushandlungsprozesse zwischen ehemals Kolonisierten und ehemals Kolonisierenden, aber auch innerhalb dieser beiden Gruppen um die Darstellung und Deutung der Vergangenheit.

Ulrich Best: Transgression as a Rule. German-Polish Cross-border Cooperation, Border Discourse and EU-enlargement. Berlin 2007 (Forum Politische Geographie 3). 279 S.

The publication, based on ULRICH BEST's dissertation, deals with the changing practice of German-Polish cross-border relations in the broader context of German-Polish relations during the 1990s until today. The author takes a constructivist research perspective and uses qualitative methods such as critical discourse analysis in order to answer his research questions, which are: 1) directed on the shifts in German-Polish relations and the constitution of the Other ("How is the mutual Other conceptualised, represented and narrated in German-Polish discourse? How does the relation with the Other negotiate national discourse and cross-border discourse?"), 2) addressing the practice of cross-border cooperation ("How do people in trans-border projects conceptualise their role in this changed field? How do they negotiate the tension of critical practice and power structures, and what new forms of critical practice emerge?”) and 3) reflecting the role of border studies themselves ("How can border studies analyse a situation where cross-border cooperation has become mainstream politics? How can there be a critical practice of border studies?") (p. 2-3).

Stuart Aitken und Gill Valentine (Hg.): Approaches to Human Geography. London 2006. 349 S.

Das vorliegende Buch ist Teil einer Reihe, die die theoretischen Orientierungen in der Geographie in den Blick nehmen. Vorher erschienene Bände behandelten die zentralen Konzepte, die Methoden sowie die wichtigsten Denker in der heutigen Geographie. In diesem vierten Band wird das Ziel verfolgt, die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Philosophie, Theorien und Methoden (ways of knowing) und der Ausübung geographischer Forschung (ways of doing) darzustellen, um so als Wegweiser für Studierende und andere Interessierte dienen zu können. Es ist ein ausgedehnter Wegweiser geworden, nicht einmal so sehr was die Seitenanzahl betrifft, wenngleich die auch ganz ordentlich ist, sondern vor allem hinsichtlich der Anzahl an Kapiteln, insgesamt 29. Das ist umfangreich, wenn man bedenkt, wieviele philosophische Richtungen, Methoden und Personen die Herausgeber in knapper Form Revue passieren lassen. Gerade wegen dieser Knappheit läuft der Leser am Ende des Buches Gefahr, vergessen zu haben, was anfangs behandelt wurde. Gleichzeitig ist es - auch für einen Rezensenten - fast nicht zu machen, alle Kapitel mit gleicher Aufmerksamkeit zu lesen.